„Von wem wird die Kultur verdrängt?“

Wie bringt man neues Leben in die Premium-Immobilie? Das Kulturforum Berlin-Alexanderplatz bewirbt sich als Nachmieter des Hauses Ungarn. Annette Maechtel und Christopher Uhe erzählen, wie das Projekt die Kultur zurück an den Alexanderplatz bringen und Gentrifizierung zum Thema machen will

INTERVIEW ADRIAN RENNER

taz: Frau Maechtel, Herr Uhe, nächstes Jahr sucht das Haus Ungarn einen Nachmieter. Das Kulturforum Berlin-Alexanderplatz (KFBA) bewirbt sich um die Nachfolge. Was für ein Programm wollen Sie denn im Haus realisieren?

Annette Maechtel: Unser zentrales Anliegen ist im Moment die Erhaltung des Hauses Ungarn als Kulturstandort. Wir fragen uns, was an diesem Ort sinnvoll ist, in welchen Traditionen wir uns bewegen und wie wir diese weiterentwickeln können. Das wird sich in Filmreihen, Diskussionen, Ausstellungen, Lesungen und Ähnlichem niederschlagen. Es sind auch bereits Leute mit Projekten auf uns zugekommen, aber da wir noch nicht gesichert planen können, ist es für uns noch zu früh, ein konkretes Programm auszuarbeiten. Aber die Bandbreite der Projekte wird sehr weit sein.

Was werden die thematischen Schwerpunkte sein?

Annette Maechtel: Wie werden uns mit dem beschäftigen, was wir vor unseren Fenstern sehen, also Gentrifizierung oder sogar Postgentrifizierung. Wir fragen uns, was eigentlich die Qualitäten urbanen Lebens sind und was wir uns darunter vorstellen, wenn hier am Alexanderplatz noch zwei Hotels und eine Shoppingmall gebaut werden. Das sind Fragen, die sich sehr konkret hier festmachen lassen, aber gleichzeitig auch exemplarisch für die Veränderung von Metropolen stehen.

Der Alexanderplatz war früher das kulturelle Zentrums Ostberlins, heute ist es ein kommerzialisierter Verkehrsumschlagplatz. Dem wollen Sie etwas entgegensetzen?

Annette Maechtel: Genau. Wir verstehen unsere Arbeit auch als Intervention. Das Haus soll mehr eine Basisstation sein, von der aus dann der gesamte Platz bespielt wird, zum Beispiel mit Performances, Begehungen oder Soundinstallationen. Wir haben von hier einen erhobenen, modellhaften Blick auf den Alexanderplatz, mit dem wollen wir arbeiten.

Christopher Uhe: Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass es dabei um öffentlichen Raum geht, der weitgehend privatisiert wurde. Aber letztendlich ist das ein Zentrum der Stadt, in der wir alle leben, und wir müssen uns fragen, wem dieser Ort gehört und mit welchen Inhalten wir ihn füllen. Gibt es da nur diese neoliberalen Geschäftsideen wie die vermenschlichten Würstchenbuden, oder nicht auch interessante Projekte, die hier realisiert werden können? Allein diese Diskussion ist uns im Moment Inhalt genug.

Es gibt heute viele Kultureinrichtungen, die mit solchen Fragestellungen ein Programm für eher kleine, elitäre Zirkel machen. Widerspricht das aber nicht Ihrem Ansatz?

Christopher Uhe: Wir wollen keine abgehobene Kulturwolke, das deutet sich schon in unseren Überlegungen an. Die Kunstvermittlung wird ein wichtiger Punkt unseres Programms sein, wir wollen mit den Menschen in Kontakt kommen, die diesjährige Kunstvermittlung der documenta ist dazu bereits auf uns zugekommen. Wir setzen uns sicher nicht nur hier rein und ziehen allein unser Ding durch.

Annette Maechtel: Allein durch die Dichte der Menschen, die täglich den Alexanderplatz frequentieren, haben wir eine Position, die es uns erlaubt, so eine Diskussion auch offener anzugehen.

Das Haus Ungarn war früher ein Vorzeigeobjekt sozialistischer Nachkriegsmoderne, später ein wichtiger Treffpunkt für DDR-Dissidenten. Wie gehen Sie mit dieser Geschichte um?

Christopher Uhe: Die Historie des Hauses ist enorm wichtig für uns. Wir bemühen uns aber, keine museale Haltung gegenüber dem Haus zu haben, sondern wollen die visionäre Architektur des Hauses weiterentwickeln und produktiv nutzen.

Annette Maechtel: Wir haben das Interesse, die Raumstruktur zu erhalten, weil die Verschränkung von Ebenen und Räumlichkeiten im Haus genau unserem interdisziplinären Ansatz entspricht.

In Berlin gibt es ein sehr großes Angebot an Kultureinrichtungen. Wozu braucht es noch eine?

Christopher Uhe: Es kann gar nicht genug geben, gerade am Alexanderplatz, der ja ein fast kulturfreier Raum ist. Berlin hat das Selbstverständnis einer Kulturmetropole, aber hier hat sich eine total normalisierte, einheitliche Konsumkultur durchgesetzt. Es gibt natürlich unendlich viele Kulturprojekte in dieser Stadt, die Frage ist aber, wo wandern diese Kulturorte hin, von wem werden sie verdrängt? Und wenn man sich fragt, worin eigentlich die Ressourcen Berlins liegen, ist der kulturelle Aspekt dabei ganz wichtig, gerade an so einem zentralen Ort, der eben auch ein Bild der Stadt repräsentiert. Die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) hat das Haus als Premium-Immobilie bezeichnet, wir feilschen um die Lage. Von daher denke ich, dass wir alles andere als überflüssig sind.

Annette Maechtel: Es gibt auch zahlreiche Institutionen, die sich mit der Zeit totlaufen, die langweilig werden, und deshalb ist es wichtig, dass es eine Auffrischung, eine Frischzellenkur von innen heraus gibt. Genau das wollen wir erreichen.

Sie haben in den letzten Tagen einen Finanzierungsplan zusammengestellt, worin liegen die größten Probleme?

Christopher Uhe: Aus den roten Zahlen herauszukommen! Wir wollen die freien Flächen im Bürotrakt als Arbeitsräume und Ateliers vermieten. Aber die offene Architektur zwischen Galerie, Foyer und Treppenhaus, die auch das Visionäre dieses Hauses ist, sowie die große Gemeinschaftsfläche machen eine Untervermietung relativ schwierig.

Bald stehen neue Verhandlungen mit der WBM an. Wie optimistisch sind Sie?

Christopher Uhe: Ich würde sagen, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Bei den Sondierungsgesprächen haben wir gemerkt, dass unser Anliegen zumindest auf ernsthaftes Interesse bei der WBM stößt, weil auch denen klar ist, dass der Bruch mit den Kulturinstitutionen eines der Probleme dieses „Riegels“, wie sie ihn nennen, war. Wäre der nicht gewesen, würde sich vielleicht die Toplage, von der die WBM immer bei diesem Haus spricht, heute hier anders zeigen.

Wie kam es denn zur Entstehung des KFBA?

Christopher Uhe: Die meisten von uns sind über das Haus Ungarn zusammengekommen, zum Teil kennen wir uns auch schon über frühere Projekte. Zur Zeit befinden wir uns eigentlich in einem zweiten Anlauf, im Sommer gab es bereits Gespräche mit Volker Geissler, dem Inhaber des Cafés Geissler, und aus unseren einzelnen Disziplinen gab es so viel positives Feedback, Interesse und Absichtserklärungen, dass wir gemerkt haben, es lohnt sich, hier mit einer neuen Initiative heranzugehen. Daraufhin haben wir dann das KFBA gegründet.