Selbsthilfe in Griechenland

Breite Teile der Bevölkerung sind verarmt, die medizinische Versorgung ist teuer. Nun ersetzt die Solidaritätsbewegung stellenweise die Grundversorgung durch den Staat

■ Freitag, 27. März„Selbstorganisation und Solidarität“. Aktivist_innen aus dem Nachbarschafts- und Erwerbslosenzentrum Perama, der Klinik der Solidarität in Thessaloniki und von Solidarity4all aus Athen berichten von Projekten der sozialen Selbsthilfe und solidarischen Ökonomie aus Griechenland. Infoveranstaltung, 19 Uhr, Biergarten Jockel, Ratiborstraße 14c

INTERVIEW SYBILLE BIERMANN

taz: Frau Bussemer, wer nutzt die solidarischen Kliniken?

Johanna Bussemer: Die Menschen in Griechenland sind medizinisch schon seit längerer Zeit unterversorgt. Kaum jemand kann sich noch Zusatzleistungen und die seit der Privatisierung anfallenden Gebühren leisten. Das geht von Zahnarztbehandlungen bis hin zu wichtigen medizinischen Untersuchungen wie Röntgen oder MRTs. Hier sind die solidarischen Kliniken eingesprungen. Zudem sind inzwischen 30 Prozent der Griech_Innen ohne Krankenversicherung und haben somit keinen Zugang zu Behandlungen und Medikamenten. Dann gibt es noch die Migrant_Innen, die gar nicht versorgt sind. Für sie war das Angebot schon immer notwendig.

Zu Beginn war das als Angebot für Migrant_Innen ohne Papiere gedacht?

Genau, sie nehmen die solidarischen Klinken auch weiterhin in Anspruch. Dass dieses Angebot jetzt bis weit in die Mittelschicht genutzt werden muss, zeigt die fatale Situation auf, in der die Menschen in Griechenland sind. Vor wenigen Jahren hätte man es nicht für möglich gehalten, dass es in einem EU-Land Engpässe bei essentiellen Dingen wie medizinischer Versorgung oder Heizmaterialien geben könnte. Es hat also eine breite Verarmung stattgefunden.

Wie soll man sich die Umstände vorstellen, unter denen in den Kliniken gearbeitet wird?

Das sind ganz beengte Verhältnisse, zum Beispiel in Bürogebäuden, wo dann MRT und Zahnarztstuhl nebeneinander stehen und nebenan Freiwillige Medikamente sortieren. Es geht lediglich um eine Grundversorgung. Circa drei Millionen Griechen sind inzwischen ohne Krankenversicherung, eher mehr, wenn man Migrant_innen ohne Papiere einrechnet. Es gibt 40 solidarische Kliniken, 16 davon in Attica, der Region um Athen, und 24 im Rest von Griechenland. Rund 750 Freiwillige arbeiten landesweit bei circa 2.000 Patienten monatlich pro Klink.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Krankenhäusern?

Ja, allein schon dadurch dass Ärzt_Innen in ihrer Freizeit in den solidarischen Kliniken arbeiten. Das Interessante ist aber eigentlich, dass sich so verschiedene Gruppen zusammengetan haben: die, die organisieren, dass die Apotheke funktioniert, die, die Patient_Innen annehmen und Spenden organisieren. Sie kommen aus der Solidaritätsbewegung. Und dann natürlich die Ärzt_Innen, die aus ganz unterschiedlichen Schichten und Beweggründen ihre Arbeit zur Verfügung stellen.

Solidarity 4 All, die auch die solidarischen Klinken unterstützen, arbeiten eng mit Syriza zusammen. Bleibt das so?

Solidarity for all treibt Spenden ein, unter anderem aus den Abgeordnetendiäten der Syriza. Dabei will man die Unterstützung möglichst breit streuen, damit sich verschiedenen Projekte überhaupt erst initiieren können. Es geht also nicht um eine dauerhafte Trägerschaft. Klar ist, dass die Initiativen, unabhängig davon, wer die Regierung stellt, weitermachen wollen und müssen. Vieles wird jetzt in Angriff genommen, wie die Abschaffung der Krankenhausgebühr zum Beispiel. Solange die Pleite aber nicht abgewendet wird, bleibt die Situation prekär, da muss man sich nichts vormachen.

■ leitet das Referat OECD-Länder, EU, UNO und Nordamerika in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zurzeit ist sie außerdem Leiterin des Büros der Stiftung in Athen.

Gehen die Verschlechterungen im Gesundheitswesen ausschließlich auf die Kappe der Troika?

Insgesamt sind die Auflagen der Troika nicht darauf ausgerichtet, für soziale Grundlagen zu sorgen, sonst wäre die Lage jetzt auch nicht so prekär. Die Maßnahmen, die in den einzelnen Bereichen festgelegt wurden, wie eben im Gesundheitssystem, waren entweder willkürlich oder schlichtweg Fehleinschätzungen. Viele dieser Bereiche waren aber schon im Vorlauf der Krise dysfunktional. In den Umfragen von Februar wurde deutlich, dass die Griech_Innen jetzt große Hoffnungen in die neue Regierung setzen. Wenn Europa ihnen allerdings keine Chance gibt und sie mit der Rückzahlung der Schulden in die Pleite oder aus dem Euro hinaus treibt, dann wird das schwierig. Davor haben viele Griech_Innen zurecht Angst.

Und die solidarischen Kliniken?

Insgesamt wäre es natürlich besser, wenn die Kliniken nicht mehr notwendig wären. Die Solidarität ist zwar etwas Gutes, sie kann die Grundversorgung durch den Staat aber nicht ersetzen. Idealerweise würden sich die Menschen dann in anderen Bereichen solidarisieren. Ich glaube, der Wahlsieg von Syriza ist hauptsächlich dadurch zu erklären, dass sie eine Verbindung zwischen den sozusagen echten sozialen Bewegungen, der Solidarität und der politischen Ebene geschafft haben. Eine Regierung sollte solche Strukturen aber nicht vereinnahmen.