Eine Frage der Kontinuität

FAMILIENRECHT Das gemeinsame Sorgerecht für ein Kind bleibt auch nach der Trennung von Mutter und Vater bestehen. Zieht einer weg, kommt es bisweilen zu schmutzigem Streit

Die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder bleiben beim Rechtsstreit oft auf der Strecke

VON ALICE WINKLER

Achim Schuhmacher, 45, lebt mit zwei Kindern in einer kleinen Stadt. Die drei haben sich in ihrem Leben eingerichtet – und doch fehlt ihnen etwas. Eine Lücke, die vor allem um die Feiertage herum sehr schmerzt. Schuhmacher hat noch ein drittes Kind. Und dieser Sohn, der jüngste, heute neun Jahre alt, lebt bei seiner Mutter. Weit weg von den anderen. Zu beiden hat Schuhmacher heute keinen Kontakt.

Begonnen habe „das Martyrium“, sagt Schuhmacher, als er eines Tages von der Arbeit nach Hause kam – und die Mutter, samt Kindern, aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen war. Unangekündigt. Es folgten etliche Prozesse, Befangenheitsanträge gegen Gutachter, Traumata bei allen Beteiligten.

Haben die Eltern vor einer Trennung das gemeinsame Sorgerecht für ihr Kind vereinbart, bleibt dies bestehen, unabhängig davon, bei wem das Kind lebt. Zumeist verbleiben die Kinder nach der Trennung bei der Mutter. Dennoch muss der Vater in alle wichtigen Entscheidungen, die das Leben des Kindes betreffen, einbezogen werden. So auch, wenn die Mutter aus privaten oder beruflichen Gründen einen Umzug plant und damit die Gefahr besteht, dass der Vater sein bestehendes Umgangsrecht mit dem Kind nicht mehr regelmäßig ausüben kann. Dem Vater verbleibt dann die Möglichkeit, diesen Umzug vor Gericht zu verhindern.

2013 kam es laut dem statistischem Bundesamt in Deutschland zu 169.833 Ehescheidungen. Davon betroffen waren 163.064 minderjährige Kinder.

Glücklicherweise einigen sich die meisten Eltern schon im Vorfeld und mithilfe von Anwälten, erzählt ein Familienrichter. Die Fälle, die dann bei ihm ausgetragen werden, seien aber höchst schmutzig. Die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder bleiben dabei oft auf der Strecke und die persönlichen Kränkungen der Eltern treten in den Vordergrund. Muss er eine Entscheidung treffen, hat der Richter sich, weil die Eltern dazu meist emotional nicht mehr in der Lage sind, deshalb am „Kindeswohl“ zu orientieren. Dazu befragt er die Kinder selbst, sofern sie schon alt genug sind, und verschafft sich einen Überblick über die sonstigen Lebensverhältnisse. Der sogenannte „Kontinuitätsgedanke“ und die damit verbundenen Fragen, wer die engste Bezugsperson des Kindes ist und wie sein Lebensumfeld ausgestaltet ist, spielen hierbei eine herausragende Rolle.

Immer wieder kommt es aber zu Fällen, in denen der Mitsorgeberechtigte gar nicht erst in eine solche Entscheidung einbezogen wird. Ist die Mutter dennoch mit dem Kind umgezogen, kann der Vater eine gerichtliche Entscheidung hierüber herbeiführen, das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragen und die Kinder in die bisherige Umgebung zurückführen lassen. Hierbei ist Eile geboten: Eine Rückführung ist eher unwahrscheinlich, wenn sich die Kinder erst mal an die neue Situation gewöhnt haben. Die Gerichte wollen den Kindern ein ewiges Hin und Her ersparen.

Wenn Schuhmacher über den Auszug seiner Exfrau spricht, spricht er von „Kindesentziehung“ – ein Straftatbestand. Trotzdem entschieden die Richter, den jüngsten Sohn bei der Mutter zu belassen. Die Tochter und der ältere Sohn waren bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf eigenen Wunsch zum Vater zurückgekehrt.

Die Entscheidung des Gerichts prangert der promovierte Jurist Schumacher scharf an. Sie sei getragen von einer nach wie vor vorherrschenden „Mütterideologie“, findet er. Seine Exfrau habe durch die Kindesentziehung Fakten geschaffen. Diese von ihr ertrotzte Kontinuität könne keine Grundlage für die getroffene Sorgerechtsentscheidung sein. Das Vertrauen in den Rechtsstaat habe er verloren, sagt Schuhmacher. Seinen Beruf hat er inzwischen aufgeben. Er widmet sich heute ausschließlich dem Kampf um Sorge- oder zumindest Umgangsrecht. Er sei es seinen Kindern schuldig, ihnen Kontakt zu ihrem Bruder zu ermöglichen. Geschwister müssten zusammen aufwachsen.

Dabei sieht er auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf seiner Seite, der in einem ähnlich gelagerten Fall geurteilt hatte, die Trennung von Geschwistern verstoße gegen das Grundrecht auf Schutz der Familie. Trotzdem hat das Amtsgericht entschieden, dass im Fall der Schuhmachers die Geschwistertrennung zu akzeptieren sei. Es müsse den Geschwistern aber häufig ermöglicht werden, sich zu sehen. Das ist laut dem Vater in drei Jahren fünf Mal passiert. Zuletzt vor einem Jahr. Die Mutter stelle sich quer, sagt der Vater. Sie habe Angst, auch noch den kleinen Sohn zu verlieren. Dabei gehe es ihm nicht darum, ihr das Kind wegzunehmen. Aber Kinder wünschten sich sowohl Mutter als auch Vater als Bezugsperson. Dieser Wunsch müsse bei den Gerichten gehört werden, findet Schuhmacher.

Aufhören will er erst, wenn er wieder Kontakt zu seinem jüngsten Sohn hat. Und er hat ein Vorbild: Kazim Görgülü, dem nach acht Jahre währenden Rechtsstreitigkeiten das Sorgerecht für seinen Sohn zuerkannt wurde.