„Ich glaube, man kann sich glücklich essen“

STERNE Ein mazedonischer Däne ist der weltbeste Koch. Sein Restaurant heißt Noma – skandinavische Küche wird dort verfeinert. Michelin vergibt Sterne dafür

■ Leben: 1977 geboren in Kopenhagen, Kind mazedonisch-dänischer Eltern, inzwischen verheiratet, zwei Kinder. Lehrjahre: Kong Hans Kælder (Dänemark), El Bulli (Spanien), The French Laundry (USA). Sein Arbeitsplatz: Noma (Nordisk Mad, Nordisches Essen) in Kopenhagens Viertel Christianshavn (www.noma.dk), 2004 eröffnet, mittlerweile mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Ehre: 2010 und 2011 wurde das Noma vom Fachpublikum zum besten Restaurant der Welt gewählt. Hoffnung: Dass die strengen dänischen Gesetze gegen Migranten von der neuen rot-sozialliberal-grüne Regierung geändert werden. Buch: „Noma. Zeit und Ort in der Nordischen Küche“. Mit 200 Fotografien von Ditte Isager und Texten von Olafur Eliasson, 368 Seiten, Phaidon/Edel, Hamburg 2011, 49,95 Euro. Reservierungen: Per Internet – und unbedingt nötig.

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

René Redzepi, Kopf und Koch des Noma in Kopenhagen, ist jüngst zum zweiten Mal von seinen Kolleginnen und Kollegen zum weltbesten Küchenchef gewählt worden; seinem Haus sind zwei Michelin-Sterne verliehen worden. Ehe das Gespräch beginnt, wünscht er, dass man einen Lunch zu sich genommen habe. Drei Stunden dauert das Mahl, es besteht aus lauter wunderbaren Kleinigkeiten in gefühlt 31 Gängen. Das Restaurant im modernen Kopenhagener Christianshavn genau gegenüber dem neuen Schauspielhaus ist in einem alten Walfängerhafengebäude untergebracht. Die Einrichtung – todschick. Moderner Stil, fahl, einfach, untapeziert – absolut glänzend. René Redzepi, Kind mazedonisch-dänischer Eltern, nimmt sich am späten Nachmittag Zeit in der Testküche. Vor uns zwei Gläser mit stillem Wasser.

René Redzepi: Wie hat Ihnen der Lunch gefallen?

sonntaz: Ich war nervös – wann geht man schon mal in ein Restaurant des Weltmeisters? Kurz: Es war eine Offenbarung.

Oh, danke. Ich dachte schon, es sei Ihnen zu wenig Fleisch dabei gewesen. Wir bereiten das meiste aus Gemüsen und Fisch zu, erst am Ende der Pyramide kommt Fleisch.

Was ist das Geheimnis Ihrer Küche, sagen wir: ihre Wahrheit?

Es gibt keine Wahrheit. Es kann keine geben. Was wir machen, ist doch ganz einfach: Wir bereiten Nahrung als Summe unserer skandinavischen Kultur und unserer Region zu – auf dass sie auf einen Teller für eine mundende Portion passt. Mag sein, dass andere es anders sehen, aber für mich macht das Sinn. Noma – das ist „nordisk mat“, nordisches Essen.

Und das bedeutet was?

Gucken Sie doch aus dem Fenster: Wir haben das Meer um uns herum, sehr viel Meer. Im Ozean haben wir mehr Pflanzen und Tiere als wir Tiere auf dem Land haben. Aber auch dort gibt es eine großartige Fülle, die man nur suchen und finden muss. Und unser Essen reflektiert diesen Reichtum. Ich bin selbst, das nur nebenbei, mit viel Gemüse aufgewachsen, vielleicht noch mit etwas Fisch, aber sehr wenig Fleisch.

Sie sind in Kopenhagen aufgewachsen?

Ja, als Kind mazedonisch-dänischer Eltern. In Vesterbro, wo so Leute wie wir wohnten – ein Einwandererviertel. Im Sommer war ich viel in Mazedonien. Und dort habe ich gelernt: Die Wahrheit ist ganz einfach. Wenn man eine Kuh schlachtet, um Fleisch zu haben, hat man weniger Milch. Und will man ein Huhn essen, gibt es weniger Eier. Deshalb isst man hauptsächlich Bohnen, Linsen, Eintöpfe, so was.

Und doch: Was ist das intime Geheimnis Ihres Verständnisses von guter Küche?

Ich kann es nicht sagen, wirklich nicht. Vielleicht ist es so: Das Geheimnis ist ein Akt der Kollaboration.

Wie meinen Sie das?

Dass in unserer Arbeit so viele unterschiedliche Leute und Charaktere zusammenkommen – die alle für ein Projekt arbeiten. Fast unterwürfig, ergeben – und sehr, sehr konzentriert.

Und das Ergebnis wäre?

Die Idee, der nordischen Küche Leben zu geben. Mit dem, was das Land, die Landschaft und die Meere hergeben, etwas herzustellen, was schmeckt.

Und doch könnte man sagen: Ihre Küche wirkt multikulturell.

Das lässt sich schwer kommentieren. Wann wird etwas zu cuisine? Kann es die reine Lehre einer Kultur überhaupt geben? Wir suchen und probieren aus – und das, was wir machen, ist eben nordische Küche. Es ist wirklich komplizierter, als ich es je vermutet habe. Eigentlich ging es am Anfang nur darum, mit Zutaten, die aus der Gegend kommen, etwas zu kochen. Aber das machte noch keine neue Küche, das war noch nicht kreativ.

Klassische dänische Küche ist gewöhnlich lecker, fett und schweinebratig. Speisen aus Krusten und Schwarten mit Rotkohl.

Das ist das, was man weltweit unter dänischer Küche so kennt. Aber ich will es Ihnen am Beispiel der Crème brulée erläutern.

Crème brulée – ein Grundpfeiler der französischen Küche.

Na ja, man könnte für dieses Dessert dänischen Zucker, dänische Eier, dänische Sahne verwenden. Ja, man könnte dem sogar noch skandinavische Beeren hinzufügen, etwa Lingon. Aber wäre das neu – in unserem Sinne? Es wäre nur französisch mit einem anderen Zungenschlag. Wir suchen also neue Wege – vielleicht Pflaume und Kartoffel als Dessert. Wir lassen uns sehr wohl inspirieren, aber wir gucken, dass etwas Neues entsteht.

Populär werden Sie damit gewiss nicht – in Dänemark dominieren ja sonst Smörrebröd, Pölser und Kebab. Was ist denn dänischer – die Tradition oder das, was Sie präsentieren?

Klar, dieses Smörrebröd ist in uns allen. Das, was ich mache, will und kann das Alte nicht beseitigen. Wir sind doch nur ein einziges Restaurant, das so vorgeht. Gut, vielleicht gibt es noch ein oder zwei andere in Dänemark, aber das war’s denn auch.

Für Köche in aller Welt sind Sie ein Idol – Sie erhalten, hörten wir, hunderte von Bitten, bei Ihnen hospitieren zu dürfen. Gerade die Jungen wollen zu Ihnen.

Ein Idol? Vielleicht. Und ja, bei uns arbeiten so viele junge Leute aus aller Welt. Was mir wichtig ist zu sagen: Ein Smörrebröd, ein Butterbrot, wie es auf Deutsch heißt, verführt mit dem Geschmack, den wir kennen. Wir hingegen versuchen, den Rahmen umzugestalten: auf dass andere Geschmackserinnerungen sich bilden. Etwa wenn wir nicht den klassischen Rotkohl anbieten, sondern Zwiebeln, die in geräucherter Butter gebraten werden, abgelöscht mit Stachelbeersaft. Aber ist das mit Schweinefleisch verträglich? Ich hoffe!

Warum nicht? Sie sind zu bescheiden. Die neue Tradition der dänischen Küche hat mit Ihnen begonnen. Einer ist immer der Erste. Die Sushi-Mode bei uns gab es auch, weil einer es ausprobierte.

„Dekadenz könnte bedeuten, ein Kilo Kaviar auf einen Steinbutt zu legen. Aber ist das geschmackvoll?“

Yeah, aber es gibt einen Unterschied: Die japanische Küche, die ganze Art, Sushi zuzubereiten, fußt auf einer achthundert Jahre alten Tradition. Unsere hat erst begonnen. Ich werde also den Siegeszug meiner Vorschläge nicht mehr erleben.

Würden Sie gerne?

Nein, solche Ambitionen hege ich nicht. Ich hoffe, dass es in skandinavischen Städten tolle Pizzerien gibt, Thai-Restaurants und türkische Restaurants – und überall auch solche Lokale wie meines, die mit unserer kulturellen DNA durchmischt sind.

Könnte man sagen: Die klassische dänische Küche repräsentiert Gemütlichkeit, Ihre hingegen Glanz und Moderne?

Eventuell, ja – obwohl: Gehen Sie in Paris oder Berlin fein speisen, finden Sie glänzend mit Leinen und edlem Besteck gedeckte Tische. Unser Haus wirkt nicht so glamourös, es ist mehr in modernem Design gehalten. Die Leute sitzen auf Holzstühlen, es gibt keine Tischtextilien, wir bevorzugen mehr Handwerkliches, dem man dies auch ansieht – überall ist Holz, sind Steine. Bei uns sind die Leute selbst der Mittelpunkt und das Essen. Perfekt gebügelte weiße Tischwäsche beeindruckt mich nicht.

Ist das Noma etwas, das die Welt verbessern soll?

Nein, das wäre wirklich übertrieben. Uns gibt es in dieser Welt, um Delikatessen zu kreieren, und zwar sehr fundamentale. Wir spaßen nicht mit uns selbst. Ich glaube, okay, es gibt in der Welt einen Zeitgeist, zu dem wir passen. Wir sollen grüner werden, wir sollen unsere Emissionen reduzieren, wir sollen Handwerk und Kleinhandel bewahren. Unser Restaurant bezieht zu 98 Prozent alles aus einem Umkreis von 100 Kilometern. Und das in einer Gegend, in der alle glauben, das sei unmöglich und man müsste für ein solches Haus das meiste von weit auswärts importieren.

Immerhin.

Ja, aber wir haben es nicht gemacht, um anderen etwas zu demonstrieren. Wir bieten diesen Platz bei uns an – für das beste Essen, das wir herzustellen in der Lage sind, nicht, um Standpunkte zu verbreiten.

Er scheint Ihnen doch wichtig, dieser gewisse Zeitgeist.

Richtig, mir persönlich. Aber nicht als Noma. Dafür haben wir eine Stiftung gegründet, das Nordic Food Lab. Wir haben auch Symposien veranstaltet.

Abermals gefragt: Verkörpert das Noma nicht insgeheim eine Art alternativen Glamour?

Das allein zu behaupten, ist mir zu groß. Glamour oder nicht: Wir haben hier einen ganzen Haufen von jungen Leuten – die wollen den perfekten Geschmack in einem nordischen Kontext möglich machen. Innerlich so, dass es auf der Zunge zergeht. Glamour ist vielleicht mehr eine äußere Sache.

Ist das Streben nach Geschmack dekadent?

Nein, nicht grundsätzlich. Dekadenz könnte bedeuten, ein Kilo Kaviar auf einen Steinbutt zu legen. Aber ist das geschmackvoll? Eine Karotte zwei Stunden sacht zu rösten, kann eine Köstlichkeit ergeben. Das aber ist doch nicht dekadent. Das ist im Übrigen auch nicht teuer. Die Idee, dass etwas nur dann gut ist, wenn es viel kostet, ergibt überhaupt keinen Sinn.

Was sagt eigentlich der mazedonische Teil Ihrer Familie zu Ihrem Erfolg?

Sie wissen, Mazedonien gehört erst seit fünfzehn Jahren zur westlichen Welt. Bei uns gilt man dann als erfolgreich, wenn man seine Familie ernähren kann. So einfach ist das. Und so schwer für viele. Mein Vater ist glücklich über mich. Aber nicht, weil ich nun zwei Michelin-Sterne errungen habe, sondern weil ich offenbar meine Familie versorgen kann.

Herr Redzepi, was treibt Sie an, was motiviert Sie?

In meinem beruflichen Leben ist das jeden Tag der Ehrgeiz, neue Zutaten auszuprobieren, mir neue Gerichte auszudenken.

Und im Privaten?

Ich habe zwei wunderbare Töchter und eine wunderbare Frau.

Aber was war Ihr Motor, als Sie ein Kind waren, sieben, acht Jahre alt?

■ Wechselt je nach Saison. Dauert drei Stunden. Mehrere Dutzend Gänge inklusive Wein (u. a. sehr delikater von der dänischen Insel Lilleø) für ca. 310 Euro. Eine Auswahl: Malzbrot mit Wacholder; Kapuzinerkresse & Schnecken; Moos & Steinpilze; Kekse & Käse; Sanddorn & Pelle; Petersilie & Lauch; Schweinehaut & Johannisbeermus; Kartoffel & Hühnerleber; eingelegtes, heißes Wacholderei; Meerrettich, Erde & Gras; Apfel & Jerusalem-Artischocke; Ampfer & Koriander; Schwertmuschel & Petersilie; Zwiebeln an Thymian mit Stachelbeersaft; Gemüse & Walnuss an Buttermilch & Tang-Öl; Knollensellerie & Trüffel; eingelegte Gemüsen & Knochenmark; Wilde Ente & Rote Beete an Buche & Malz; Dänischer Schnaps; Kartoffel & Pflaume. Alle Gerichte so zubereitet, dass deren Zutaten auf vielfache Weise behandelt werden – gesotten, gegrillt, gebraten, geräuchert, zerkleinert und geliert. Serviert wird, als sei’s eine moderne Variante der Tania-Blixen-Geschichte von „Babettes Fest“, von KellnerInnen und KöchInnen zusammen. Gesamturteil: spektakulär bis süchtig machend.

Ich weiß es nicht, und damals wusste ich es schon gar nicht. Fußballspielen, Rumhängen, das war’s. Erst mit 15 auf der Oberschule, da gab es einen Wettbewerb, da ging es ums Kochen und um Geschmack. Da begann tatsächlich etwas in mir zu ticken – es war der erste Moment in meinem Leben, den ich als erwachsen empfand.

Trotzdem: Warum diese Passion – und nicht, klischeehaft gesprochen, etwa Autoschrauberei. Das wäre womöglich naheliegender gewesen für Sie als Kind eines Einwanderers.

Ich weiß es nicht, vielleicht war es Zufall. In meiner Familie kochte mein Vater, nicht meine Mutter. Es war tolles Essen. In Mazedonien, verstehen Sie, gab es keine Kühlschränke, alles musste frisch sein. In Dänemark gab es diese Küche nicht. So begann ich nachzudenken: Was ist Essen? Was ist gutes Essen?

Was war in Ihrer Kindheit Ihr Lieblingsessen?

Es ist, ehrlich gesagt, etwas mit Fleisch, denn das gab es selten. Heute esse ich gern Gemüse, aber früher? Wissen Sie, wenn Sie immer nur Eintopf haben, dann sehnen Sie sich nach Besonderem, also Fleisch. In meinem Fall: gebratenes Huhn, Lamm.

Ist gutes Essen für Sie der Schlüssel zu einem guten Leben?

Absolut! Das mag nicht für alle gelten, das ist auch okay. Wenn ich reise, dann, um neue Nahrung kennenzulernen, neues Essen. Ich sehe die Welt durch die Brille des Essens. Ich empfinde pures Entzücken, wenn die Jahreszeiten wechseln und wenn neue Zutaten kommen. Dinge, auf die man das ganze Jahr wartet, Wurzeln, Blätter oder Früchte. Ich glaube, man kann sich glücklich essen.

Sie freuen sich auch auf den toten Winter?

Nein, der Winter ist nicht tot. Es ist die Zeit der Regeneration, es gibt noch genug in der Natur, das für die Küche gut ist.

Was bedeutet Ihnen Weihnachten?

Nicht viel, ehrlich. Ich bin mit meinem muslimischen Vater aufgewachsen, okay? Andererseits habe ich jetzt selbst Kinder, deshalb wird Weihnachten irgendwie wichtig.

Muslimische Kinder in Deutschland feiern auch gern Weihnachten, Islam hin, Christentum her.

Ich weiß, klar, meine Frau hat einen jüdischen Hintergrund, und auch sie feiert Weihnachten. Aber wir halten das nicht groß. Ich bin nicht religiös, aber trotzdem.

Ihr Restaurant wird geschlossen haben, Sie sitzen dann mit Ihrer Familie zusammen. Werden Sie etwas Schönes kochen?

Ja. Einige der Jungs aus dem Restaurant, die hier hospitieren, die werden bei uns zu Gast sein. Ich werde traditionelle dänische Weihnachtsküche zubereiten, Grünkohl, Schweinebraten mit Kruste, Gans, Blutwurst, geräucherter Lachs, Räucheraal.

Und Kartoffeln?

„Die japanische Küche fußt auf einer achthundert Jahre alten Tradition. Unsere hat gerade erst begonnen“

In Karamellsoße, klar. Und im Reispudding werden Kirschen sein.

Sie empfinden Verantwortung für Ihre Mitarbeiter, damit Sie kein Heimweh haben?

Selbstverständlich, gerade zu Weihnachten. Meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sehe ich die ganze Woche, die sehe ich öfter als meine eigene Familie. Wir arbeiten wie Hochleistungssportler. Sehen Sie irgendwelche Leute mehr als achtzig Stunden die Woche? Eben. Für mich ist das nur natürlich, sie auch zu Weihnachten einzuladen.

Wird es bei Ihnen Geschenke geben?

Nein, das wäre dann doch zu verrückt. Aber so Fünf-Kronen-Kleinigkeiten, die gibt es – auch für meine Mitarbeiter, die bei mir zu Gast sind.

Und Ihre Kinder?

Die bekommen etwas, aber nur ein Geschenk.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft – Noma forever?

Ich liebe meine Arbeit, über meine Zukunft kann ich nichts sagen. Unser Haus beschäftigt uns sehr, und das wird auch so bleiben. Vielleicht wird es mir wichtig, mehr zu reisen, die Welt anzugucken. Momentan ist alles gut.

Sie können ja kaum aufhören – immer arbeiten Sie. Werden Sie überhaupt je wieder Urlaub machen?

Ja, selbstverständlich. Nächstes Mal in Brasilien. Ins Amazonasgebiet. Das ist das komplette Antidänemark.

Jan Feddersen, sonntaz-Autor, glaubt, dass die geschmacklichen Vorlieben bei allen in der Kindheit gelegt werden. Seine sind: Rouladen und Vanillepudding