Ein Himmel aus Beton

Wie lebt es sich als christlicher Palästinenser in Bethlehem im Schatten von drei israelischen Mauern samt Wachtürmen? Besuch bei Johnny Anastas

AUS BETHLEHEM SUSANNE KNAUL

Als Johnny Anastas noch klein war, spielte er an Rachels Grab, einem jüdischen Heiligtum in Bethlehem, mit seinen Freunden Verstecken. Später wurde das über 3.500 Jahre alte kleine Gemäuer von israelischen Soldaten bewacht, den Palästinensern aus Bethlehem blieb der Zugang versperrt, obwohl es im Stadtgebiet liegt, an der Hauptstraße von Christi Geburtstadt und nur ein paar Meter von dem Haus auf der anderen Straßenseite entfernt, in dem Johnny noch heute wohnt. Sehen kann es Johnny, der inzwischen Vater von vier zum Teil schon erwachsenen Kindern ist, nicht mehr. Stattdessen blickt er auf eine neun Meter hohe Mauer, die das israelische Verteidigungsministerium aufstellen ließ, damit die jüdischen Pilger sicher zu der für sie heiligen Stätte gelangen.

Die eineinhalb Kilometer tief ins Stadtgebiet reichende Mauer schneidet ein Stück von Bethlehem ab. Autoverkehr ist auf der von Jerusalem kommenden Straße, die einst durch Bethlehem und weiter nach Hebron führte, nicht mehr möglich. Die Mauer ist entlang der Straße errichtet, parallel dazu steht im Abstand von nur wenigen Metern eine zweite Mauer und dann noch eine quer, die bis zum Nachbardorf Beit Dschala führt. Johnnys Haus liegt in der Mitte.

Die Mauer verläuft unmittelbar vor seiner Eingangstür, dem Treppenhaus und den Kinderzimmern im zweiten Stock. Auf der anderen Seite steht eine Mauer vor dem Wohnzimmer und die dritte vor Schlafzimmer und Küche, wo es zusätzlich einen mit bewaffneten Soldaten besetzten Wachturm gibt, wie auch vor dem Wohnzimmer.

Johnnys Mutter, die bei der Familie wohnt, zieht die schweren Vorhänge mit Goldborte zu, wenn sie für eine Weile unbeobachtet sein will. „Sie hatte zwei Herzanfälle“, berichtet der Sohn, „deshalb haben wir sie aus dem Erdgeschoss zu uns geholt.“ Johnny wohnt in der oberen Etage. Von dort aus ist noch ein Stück Himmel zu sehen, und man muss nicht schon am Vormittag das Licht anschalten. Unten ist nur noch der Laden, der bis vor sieben Jahren der Familie den Lebensunterhalt sicherte. Mit Beginn der Intifada musste Johnny das Geschäft schließen. Er zeigt auf die Weihnachtstanne aus Plastik, die im Wohnzimmer steht. „Die kostet ein Vermögen“, sagt er. Früher hat er damit gehandelt. Auch mit den goldfarbenen Plastikkugeln, Elfenbein-Imitationen und Christusbildern, von denen er eins an den Kühlschrank geheftet hat.

Als die „Al-Aqsa-Intifada“, der zweite Palästinenseraufstand, begann, fanden hinter dem israelischen Kontrollpunkt und an Rachels Grab täglich Schießereien statt. Die Touristen blieben aus und „sogar die Leute aus dem Ort trauten sich nicht mehr zu uns“, berichtet Johnny. Im Sommer 2004 kam dann der Anruf aus dem Rathaus, der ihn über den geplanten Mauerbau informierte. Der Oberste Gerichtshof in Jerusalem hatte ein Gesuch der Stadtverwaltung, die Route der Trennanlagen zu verlegen, abgewiesen. Die Hälfte der palästinensischen Selbstmordattentäter seien aus Bethlehem gekommen, so die Begründung. „Wir wussten, dass sie bauen wollen“, sagt Johnny. „Aber so hatten wir uns das nicht vorgestellt.“

Am liebsten würde er ins Ausland gehen, vielleicht nach Amerika oder Berlin, wenn er ein Visum bekäme. „Ich bin ein Berliner“, steht in großen Buchstaben auf der Mauer vor dem Wohnzimmer. Die Aufschrift stamme von zwei jungen Deutschen. Johnny hat keine Hoffnung, dass die Mauer jemals wieder abgerissen werden wird. „Freiluftknast“ nannte der Bürgermeister Bethlehems seine Stadt.

Seit der Geschenkladen geschlossen ist, arbeitet Johnny in der Autowerkstatt seines Bruders. Das Geld reicht für das Nötigste. Weihnachtsgeschenke gibt es seit Beginn der Intifada nicht mehr. In diesem Jahr kann sich die Familie noch nicht einmal das traditionelle Festmahl leisten. Bis auf die Messe um Mitternacht bleibt Heiligabend ein ganz normaler Tag.

Für diejenigen, die aus Jerusalem kommend im Gefolge des Lateinischen Patriarchen, dem Oberhaupt der römischen Katholiken in Israel und den Palästinensergebieten, in die Geburtsstadt Jesu pilgern, wird am 24. Dezember das Tor zur Hauptstraße geöffnet. An Rachels Grab wird das Kirchenoberhaupt von den lokalen Priestern in Empfang genommen. Das Fußvolk muss durch die neuen Sicherheitsanlagen am „Kontrollpunkt Rachel“, durch Drehtüren, elektrische Tore und den Zementkorridor, der nach oben offen ist, um die Überwachung zu erleichtern. Wie Hohn macht sich hier das Grußwort auf Englisch, Arabisch und Hebräisch aus, das die Soldaten für Autofahrer und Fußgänger gut sichtbar angebracht haben: „Friede sei mit euch.“