Es war die Elfe

WUNDER Ein Armreif aus London war ihr liebster Schmuck, selten getragen, voller Erinnerungen. Plötzlich ist er weg. Suche, überall. Vergeblich. Ein Schmied schafft Ersatz. Und dann? Liegt er im Kästchen, wie immer?

VON WALTRAUD SCHWAB

Es ist ein Armreif aus Silber. Massiv, oval, gehämmert, gestempelt. Er war teuer, als ich ihn auf einem Kunsthandwerksmarkt in London kaufte – nicht weit vom Bahnhof Charing Cross. Ich sparte ihn mir vom Mund ab, das Leben war teuer in der Stadt. An manchen Tagen gab es nur Pommes. Sie sind gut in London, die besten Pommes der Welt.

Drei Jahre habe ich in London gelebt. Mit diesem Armreif ist meine Erinnerung an die Stadt verbunden. Wenn ich ihn trage, trage ich die Erinnerung mit. Ich trage ihn selten – bin kein Schmucktyp.

In Berlin lag er in einem Messingkästchen im kleinen Zimmer, in dem oft Gäste schlafen. Manchmal schaute ich nach, guckte mir an, was ich besaß: eine Brosche, eine Goldmünze, die mir ein Onkel schenkte, als ich klein war, ein paar Ohrclips (ich habe keine Löcher), einen Ring, den mir ein australischer Verehrer gab (scheußliches Teil), einen Ring, den ich einer Freundin abgeschwatzt hatte, weil man ihn öffnen und etwas hineintun konnte. Das Wertvollste war der Armreif.

Eines Tages schaute ich wieder in das Kistchen: Der Armreif war weg. Ich suchte ihn überall, in jeder Ecke, auf jedem Regal. Hatte ich ihn getragen? Hatte ich ihn verlegt? Er blieb verschwunden – der Verlust der Erinnerung wog schwer.

Ich ging zum Silberschmied, beschrieb ihm, was ich verloren hatte, und bat ihn, einen neuen zu fertigen. Er machte einen, der dem verlorenen nicht glich.

Es muss die Elfe gewesen sein. In manchen Wohnungen gibt es eine. Sie versteckt Scheckkarten und Personalausweise, sie treibt Schabernack. Sie nimmt nicht nur Dinge, sie vertauscht und gibt auch. Einmal kam ich von einer Reise zurück, öffnete den Koffer und fand Bernsteinohrringe darin, die ich nie besessen habe. Zuerst tauchte einer auf, dann der zweite. Ich verstehe das bis heute nicht.

Aber dass der Armreif verschwunden war, das ließ mich nicht los. Oft schaute ich nach. Die Leerstelle schmerzte. Einmal schaute ich wieder in das Messingkästchen – und konnte es kaum fassen: Der Armreif war da. Er lag da, wie immer. Als wäre er in meinem Blickfeld lange nur ausgespart gewesen.

Es muss die Elfe gewesen sein. Oder eine Freundin?