Das Borussia-Experiment

SPARRINGSPARTNER Der FC Bayern München probt mit einer ungewohnt defensiven Ausrichtung in Dortmund erfolgreich den Ernstfall

Die Defensivtaktik könnte auch in der Champions League oder im Pokal ihre Anwendung finden

AUS DORTMUND DAVID JORAM

Pep Guardiola wird zu einem großen Schwärmer, wenn er von seinen Spielern spricht. Und da macht er auch kaum Ausnahmen. Das war auch nach dem 1:0-Auswärtssieg in Dortmund wieder so. „Er ist der beste Profi, den ich je kennengelernt habe. Ich liebe ihn“, sagte der Katalane etwa über seinen Abwehrspieler Dante. Er braucht ihn ja morgen wieder beim Pokal-Viertelfinale in Leverkusen. Dort steht für Bayern München ein wesentlich wichtigeres Spiel an. Allerdings hat der Bayern-Trainer durchaus schon ein paar andere ganz brauchbare Profis trainieren dürfen. Lionel Messi beispielsweise. Oder Thiago Alcantara.

Während Messi längst Teil von Guardiolas Vergangenheit ist, soll Thiago die Zukunft prägen. Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Es gilt als gesichert, dass Guardiola den jungen Spanier mindestens genauso verehrt wie Dante, eventuell sogar ein bisschen mehr.

Die Zuneigung resultiert aus Thiagos Geschmeidigkeit im Umgang mit dem Ball. Dass er diese nach 371 Tagen Zwangspause nicht verlernt hat, feierten seine Mitspieler ausgelassen. Sogar ausgelassener als den Sieg über den BVB. „Thiago, Thiago“-Sprechchöre klangen jedenfalls lautstark aus der Gästekabine heraus. Die feinen Außenristpässe, die der Gefeierte bei seinem 25-minütigen Einsatz den 80.667 Zuschauern vorgeführt hatte, dürften nicht der alleinige Grund dafür gewesen sein. Wie hoch die Bayern Thiagos Kurzeinsatz und damit auch einen Randaspekt der Partie werteten, veranschaulicht zugleich recht gut, wie tief der BVB gefallen ist. Der härteste Münchener Konkurrent der letzten fünf Jahre ist in dieser Saison vom Rivalen-Dasein ungefähr so weit entfernt wie die Erde vom Mond. Dass die Dortmunder durch ein Lewandowski-Tor verloren, überraschte letztlich kaum. Wie es dazu kam, schon eher.

Bollwerk im Zentrum

Die Bayern traten nämlich ungewohnt zurückhaltend, bisweilen gar vorsichtig auf. Vielleicht, weil es sich dann doch nicht um einen handelsüblichen Tabellenzehnten handelte. Wie ihn etwa Bremen, Frankfurt oder Hertha BSC darstellen. Gegen solche Gegner pflegt der FC Bayern den von Guardiola favorisierten Ballbesitzfußball. Nichts weniger als das ist Guardiolas Anspruch. Je nach Gegners Geschicklichkeit endet das Spiel dann zwischen 3:0 und 8:0, mit gefühlten 95 Prozent Bayern-Ballbesitz und 43:1 Torschüssen. Niederlagen wie jene in Wolfsburg (1:4) oder zuletzt gegen Mönchengladbach (0:2) – zwei ausgesprochen umschalterprobte Teams – haben jedoch aufgezeigt, wie das Bayern-System auszuhebeln ist. Und derartige Vorführungen mag Guardiola natürlich überhaupt nicht – zumal nun die entscheidende Phase der Saison ansteht.

Der Spanier hat eine Kurskorrektur vorgenommen. Borussia Dortmund kam auf dem Spielplan wie gerufen, um das Abrücken vom Ballbesitzfußball zu erproben. An sehr guten Tagen kann der BVB schließlich noch besser umschalten als Wolfsburg und Mönchengladbach. Was dem BVB jedoch (auch an sehr guten Tagen) ganz selten gelingt (zumindest in dieser Saison), ist das Aushebeln von tiefstehenden Mannschaften. Das weiß man auch in München. Statt gefühlten 95 Prozent Ballbesitz hatten die Bayern deshalb nur gemessene 51 – und Torschüsse? Ganze sieben. Sie standen tiefer, überließen dem BVB die Initiative – und riegelten mit gleich drei zentralen Mittelfeldspielern (Schweinsteiger, Alonso, Lahm) konsequent ab. Stabilität lautete die Devise.

Im Angriff unterstrich Robert Lewandowski, in Abwesenheit von Ribéry und Robben, wie wertvoll er sein kann. In Dortmund zeigte er, was er unter Klopp vier Jahre lang bis zur Perfektion gelernt hatte: Bälle unter Bedrängnis verarbeiten. Wie beim 0:1 (36. Minute). Sein Kopfballtor hatte er mit einem gewonnenen Zweikampf gegen Weltmeister Hummels quasi selbst vorbereitet. Mehr als zwei Chancen durch Reus gewährte Bayern dem BVB in Hälfte zwei nicht. Guardiolas Defensivtaktik könnte auch in der Champions League ihre Anwendung finden, wenn die Gegner Real oder Barcelona heißen. Oder schon im Pokal gegen Leverkusen. Die Partie gegen den Sparringspartner Borussia Dortmund war ein gelungener Testlauf. Darum hatte Guardiola auch Zeit für ein paar Streicheleinheiten. Erst für Dante, dann für Thiago („Ich bin sehr, sehr zufrieden mit ihm“). Letzterer weinte gar vor Glück. Wenigstens für ihn war das Spiel gegen Dortmund ein besonderes.