Schuld ist immer Springer

Vor drei Jahren regte die taz eine Rudi-Dutschke-Straße in Berlin an. Vierzig Jahre nach den Schüssen auf den Studentenführer könnte es – endlich – so weit ein

Die Revolution ist ins Stocken geraten. Seit Monaten liegt die Idee für eine Rudi-Dutschke-Straße auf Eis. Sie verstaubt in den Akten des Berliner Oberverwaltungsgerichtes. Vielleicht gärt sie dort auch, um bald ihre explosive Kraft zur Geltung zu bringen. Im vierzigsten Jahr danach.

Schuld daran ist wieder einmal der Springer Verlag. 1968 hetzte Springers Bild-Zeitung gegen Rudi Dutschke. Sie rief zum Ergreifen der Rädelsführer der protestierenden Studenten auf. Josef Bachmann, ein Anstreicher aus München reiste mit dem Zug nach Berlin und schoss Dutschke drei Kugeln in den Kopf. Am 11. April 1968, auf dem Kurfürstendamm vor der Zentrale des SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Später erklärte Bachmann, dass er Dutschke nie persönlich kennengelernt habe, sondern durch die Bild-Kampagne angestachelt worden sei. Die Schüsse selbst überlebte Dutschke knapp. Doch Heiligabend 1979 starb er an den Spätfolgen des Attentats.

Solche Brutalitäten sind zum Glück Geschichte. Denn Dutschke hat die Republik verändert. Selbst Springer kämpft heute für das Recht der Minderheit, die von einer linken Mehrheit die Umbenennung der tadellosen Koch- in die eine Positionierung verlangende Rudi-Dutschke-Straße aufgezwungen bekommt.

Längst ist Springer die letzte Speerspitze in der mittlerweile drei Jahre währenden Abwehrschlacht der Bürgerlichen gegen die Revolution auf dem Berliner Straßenland. Kurz vor Weihnachten 2004, zu Dutschkes 25. Todestag, hatte die taz die Umbenennung angeregt. Damit solle „ein Mann gewürdigt werden, der die jüngere Vergangenheit Berlins wie der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt hat, der als Studentenführer eine gesellschaftliche Bewegung mit ausgelöst und getragen hat und der zum Symbol von Gegenöffentlichkeit und Meinungsfreiheit geworden ist“, hieß es im Antrag der taz. „Die Umbenennung in Rudi-Dutschke-Straße wäre ein Symbol für die gesellschaftliche Versöhnung der Generationen – in Berlin wie in Deutschland überhaupt.“ Vor allem aber vor Ort.

Denn dort würde die Rudi-Dutschke- auf die Axel-Springer Straße stoßen. Exakt an der Kreuzung, auf der in der Nacht nach dem Attentat wütende Studenten versuchten, die Auslieferung der Bild-Zeitung zu verhindern. Die wurde dort damals nicht nur produziert sondern auch gedruckt. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Lieferfahrzeuge des Verlags wurden umgestürzt und in Brand gesetzt.

Die Kreuzung Springer- Ecke Dutschke-Straße als eine Art deutsches Eck. Das Konzept leuchtete ein. Zumindest einer linken Partei, die damals – so schnell entsteht Geschichte – tatsächlich noch PDS hieß. Die stellte die Initiative der taz nur drei Tage später im Bezirksparlament von Friedrichshain-Kreuzberg zur Abstimmung. Den vorweihnachtlichen Schnellschuss konnten CDU und FDP noch in die Ausschüsse verweisen. Doch im Sommer 2005 war der parlamentarische Arm der Straßenrevolution nicht mehr zu stoppen. PDS und Grüne, die in der Bezirksverordnetenversammlung die Mehrheit stellen, beschlossen am 29. August 2005 die Umbenennung.

Das konnte die CDU nicht auf sich sitzen lassen. Vielleicht hat sie sogar von Dutschke gelernt. Der hatte schließlich die parlamentarische Demokratie durch eine Räterepublik ersetzen wollen, in der die Wähler in Basiseinheiten organisiert sind. Flugs wandelten sich die Christ- in Basisdemokraten und nutzten die gerade erst gegen die Stimmen der CDU eingeführte Möglichkeit des Bürgerbegehrens auf Bezirksebene – nur um schließlich beim Bürgerentscheid erneut eine herbe Niederlage zu kassieren. 57,1 Prozent der Wähler stimmten am 21. Januar 2007 für die Dutschke-Straße. Fortan schwieg die CDU zum Thema.

Der Springer Verlag aber ist zäh. Zusammen mit einer Anwohnerinitiative zog er vor Gericht – und wurde abgewatscht. Die Umbenennung sei weder willkürlich noch verletze sie die Grundrechte der Anwohner, urteilte das Berliner Verwaltungsgericht im Mai. Und da es daran nach Ansicht der Richter keine Zweifel gebe, ließen sie nicht einmal ein Berufungsverfahren zu.

Seither könnten die Schilder hängen. Kurzzeitig hingen sie sogar. Einen Tag nach dem Gerichtsurteil schritten die Grünen zur Tat und hingen ein Pappschild mit Dutschkes Namen an eine der Straßenlaternen. Die offizielle Umbenennung musste bis ins Jubiläumsjahr 2008 verschoben werden. Denn die Widerständler im Axel-Springer-Haus stiegen dankenswerterweise auch auf die letzte Barrikade. Im Juli reichten sie beim Oberverwaltungsgericht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ein. Seither brüten die Richter. „Die müssen ganz tief in die Materie einsteigen“, begründet ein Justizsprecher die Dauer der Beratung. Eine Entscheidung werde nicht vor dem Frühjahr fallen.

Dann aber könnte es ganz schnell gehen, zumindest wenn das OVG die Beschwerde ablehnt. Die Straße könne sofort umbenannt werden, heißt es aus dem Bezirksamt. Sobald die neuen Schilder gedruckt sind.

Das könnte zum Beispiel am 11. April 2008 sein – exakt vierzig Jahre nach den Schüssen auf Dutschke. GEREON ASMUTH

GEREON ASMUTH, Jahrgang 1965, Leiter der Berlin-Redaktion, war Miterfinder der Rudi-Dutschke-Straße und steht immer noch dazu