Was wird …
… aus dem Kapitalismus?

Wir haben Visionen und wir gehen – hallo, Helmut Schmidt! – nicht zum Arzt. Wie sagte schon der Zukunftsforscher Robert Jungk? „Das Morgen ist schon im Heute vorhanden, aber es maskiert sich noch als harmlos, es tarnt und entlarvt sich hinter dem Gewohnten.“ Wir von der Kontext:Wochenzeitung haben das Gewohnte in brutalstmöglicher investigativer Recherche entlarvt. Da wir dafür bekannt sind, über den Stuttgarter Kesselrand zu schauen, haben wir bei unseren Jahresend-Visionen unseren Blick weit schweifen lassen: in die Welt (des Kapitalismus), nach Deutschland (Buprä auf Probe), Baden-Württemberg (kleiner Nils ganz groß) und nach Stuttgart (Schuster heiliggesprochen)

In der Krise wird das nix mehr mit dem Kapitalismus und der Kohle. Da müssen wir uns schon was Besseres einfallen lassen. Oder werden wir von einem börsennotierten Discount-Zertifikat auf den Dax satt? Vom Brot beim Discounter vielleicht. Vom Dachs im Ofen, das sollten wir um des Dachses willen besser bleiben lassen. Vom Zertifikat? Ein Stückle Papier, versteckt im Depot, aber fad im Geschmack und nicht wirklich zum Verzehr zu empfehlen. Auch am Gold werden wir uns höchsten noch die Zähne ausbeißen. Allenfalls als Krone im Gebiss macht’s vielleicht noch Sinn. Was aber, wenn’s nix mehr zu beißen gibt?

Also brauchen wir in diesen inflationär verwirrten Zeiten eine Reform. Ach, was reden wir da. Wir brauchen den großen Wurf, den ganz großen. Eine neue Weltwährung muss her. Und sie muss lange halten, also währen, weil nur was lange währt, endlich gut wird. Diese kapitalisierten Märkte, das lesen wir doch Tag für Tag, die hungern und hungern nach frischem Geld und nach Wachstum, und uns knurrt der Magen. Also wozu noch Euro oder Dollar? Gegen den Hunger etwa?

„Solanum tuberosum“, diesen Zungenbrecher werden wir uns erstens merken und zweitens bald auf derselben zergehen lassen. Der kluge Lateiner lehrt uns, dass dahinter die Kartoffel steckt, und das wird die neue Weltwährung. Runde Sache. Von goldgelber Farbe. Dem Lexikon zufolge durchläuft die Knolle, bevor sie Kartoffel wird, ein sogenanntes Dickenwachstum.

Na also. Wachstum! Das isses doch. Wachstum macht satt. Meinrad Heck

… aus Christian Wulff?

Es gibt in Deutschland Probeabonnements für Zeitungen, den Führerschein auf Probe, Beziehungen auf Probe, kurz: alles, was wichtig ist, wird erst mal ausprobiert. Warum also auch nicht der Bundespräsident? Im Grunde ist das ja das Prinzip der Demokratie: Man abonniert mal für fünf Jahre die SPD, dann vielleicht die Grünen oder auch die CDU.

Und weil man die Politiker nicht zu Hause gebrauchen kann, deponiert man sie im Bundestag, wo sie dann zusammensitzen und Gesetze abnicken oder anderen ein Bein stellen. Oder auch konstruktiv arbeiten, und sei es auch nur als Koordinator der eigenen Doktorarbeit. Wenn die fünf Jahre dann rum sind, kann man verlängern – oder eben nicht. Nur wenige Politiker sind wie ein Drückerkolonnen-Abo, das man nicht mehr loswird. Die haben sich dann im Zeitungsständer festgeklemmt, und plötzlich sind 16 Jahre rum und ganz Deutschland ist verkohlt.

Nur einer hat sich dem bisher entzogen: der Bundespräsident – eine Instanz, nix mit Probe, quasi der Heilige der deutschen Demokratie. In der Vergangenheit soll es zwar Fälle gegeben haben, dass einer sich für zehn Jahre ins Schloss Bellevue setzte. Aber das war dann nie ein größeres Problem, weil man sich mit dem Buprä ja schmückte wie mit einem renommierten intellektuellen Blatt. Das zwar auch kaum jemand liest, bei dem es aber allen irgendwie guttut, es im Zeitungsständer zu haben. Und das mit einem Leitartikel die öffentliche Debatte prägt, Entwicklungen für die Zukunft aufzeigt, neudeutsch: Trends anregt.

Das hat jetzt auch der Bundespräsident getan. Nicht mehr die Bürger abonnieren die Politiker, sondern die Politiker das Volk. Kann man ja auch verstehen, wenn es als Prämien Gratisreisen und verbilligte Kredite gibt. Sandro Mattioli

… aus Nils Schmid?

Nils Schmid wird entlarvt. Lange kann es nicht mehr verborgen bleiben, dass der baden-württembergische Finanzminister der Kopf des Netzwerks Anonymus ist und damit dafür verantwortlich, dass Spendengeld in Millionenhöhe von Reichen an Arme umverteilt wurde.

Schon länger hat man den 38-Jährigen in den Gängen des Landtags und des Finanzministeriums bei Selbstgesprächen beobachten können. Wortfetzen waren zu hören wie: „… mit Geld endlich was Vernünftigeres machen“ und „… nicht alles in S 21 verbuddeln“ oder „Robin Hood ist mein Held“. Als Anonymus hat Schmid nun ein US-Sicherheitsunternehmen geknackt und wohltätige Überweisungen getätigt vom Roten Kreuz bis Attac. Seine türkische Frau will ihn immer öfter dabei überrascht haben, wie er zu Hause mit dunklen Augenschatten vor seinem Laptop saß, fanatisch „Rosa Luxemburg, Rosa Luxemburg“ schrie und Zahlenkolonen in den Computer hackte.

Mit seinen Umverteilungsplänen konnte sich der überzeugte Sozialdemokrat in seiner Partei nicht durchsetzen. Claus Schmiedel drohte mit der kompletten Sprengung des Stuttgarter Bahnhofs. Als Finanzminister ist Nils Schmid nicht mehr zu halten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann baut ihm ein Forsthaus im Laizer Wald. Dort sieht man den Exminister in Strumpfhosen, Wams und Armbrust öfter den Weg von Spaziergängern kreuzen. Da die SPD inzwischen völlig zerstritten und die CDU noch immer damit beschäftigt ist, mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Peter Hauk auf den Tischen zu tanzen und „Oben bleiben“ zu skandieren, hat sich der entnervte Regierungschef zu unkonventionellen Schritten entschlossen. Er beruft Michi von der Piratenpartei (Mathematikabschluss) zum Finanzminister. Susanne Stiefel

… aus Wolfgang Schuster?

Na klar, der neue alte Oberbürgermeister. Sie müssen ihn nur rufen und sagen: Nur du, Wolfi, du kannst es. Nur du kannst uns aus dem Jammertal führen, zurück in eine Stadt, die lange uns gehörte. In der wir regierten nach Herzenslust, Straßen und Plätze nach den Unseren benannten und das Wunder vollbrachten, einen ganzen Bahnhof unter die Erde zu legen. Gebenedeit unter den Männern seist du, heiliger Wolfgang. Er wird den Ruf in seinem Herzen bewegen und sein wohltätiges Weib fragen, ob sie die Last noch einmal tragen sollen.

Über Weihnachten haben sie das Kind in der Krippe betrachtet, Paul Schobel in Kontext (Wickelkinder machen harte Männer weich) gelesen und zum Fest der Nächstenliebe aufgerufen. Wir müssten uns denjenigen zuwenden, sprach der Weihnachtsschuster, die arm, einsam und arbeitslos und am Rande der Gesellschaft sind. Dem Ägypter in Kairo und dem Inder in Mumbai, den Partnerstädten Stuttgarts, zum Beispiel. Ihnen zu helfen in ihrem Elend sei das Gebot christlicher Nächstenliebe, sprach er weiter. Deshalb könne er den Ruf, seinen Bürgern noch einmal voranzustehen, leider nicht erhören. Stattdessen werde er die „Schwäbische Tafel“ an der Hauptstätter Straße führen. Sein Stellvertreter Michael Föll habe auch schon zugesagt. Als Buchhalter und Buße für die Sünden bei Wolff & Müller und den Eiskunstläuferinnen auf der Waldau. Josef-Otto Freudenreich