Wenn eine Positive mit Negativen hantiert...

■ Eine HIV–positive Fotografin verlor ihren Job, weil sie ihre Infektion nicht verschwieg / Hamburger „Regenbogen–Projekt“ von HIV–Positiven, AIDS– und Krebskranken will Selbsthilfe–Gesundheitszentrum errichten / Heute abend Bericht im ZDF

Aus Hamburg I. Stratenwerth

Wenn heute abend das ZDF über das Hamburger „Regenbogen– Projekt“ berichtet - ein Zusammenschluß von Selbsthilfegruppen und einzelnen Betroffenen aus dem Bereich der HIV–Positiven, AIDS– und Krebskranken -, dann hat dieser Film schon Konsequenzen gehabt, zu deren Bekämpfung die Regenbogen–Freunde eigentlich angetreten sind: Gruppenmitglied Beate, 32 Jahre alt und von Beruf Fotografin, hat ihren Arbeitsplatz verloren, weil sie ihrer Chefin mitteilte, daß sie HIV–positiv ist. Beate hatte das „Doppelleben“ als HIV–Positive satt und mochte auch nicht mit hochgezogenen Schultern darauf warten, ob ihre Vorgesetzte die Sendung sieht und sie erkennt. Seit anderthalb Jahren weiß sie, daß sie infiziert ist. Das erste Jahr nach dem Schock über diesen Befund hat sie gebraucht, um sich, unter anderem in einer Selbsthilfegruppe, mit ihrer neuen Lage auseinanderzusetzen. Im Juli dieses Jahres gehörte sie zu denjenigen, die das Regenbogen–Projekt ins Leben riefen. „Uns allen hat die Medizin fast gar nichts zu bieten. Darum müssen wir als Selbsthilfegruppen aktiv werden und die Ohnmacht besiegen“, schreibt die Gruppe in einem Informationsblatt. Sie wollen die Konkurrenzsituation der unheilbar Kranken um staatliche Zuwendungen aufheben, denn „wir sind gemeinsam vom Tod bedroht“. Vier Projektmitglieder stellen sich, ganz bewußt, mit Foto und vollem Namen vor. Ein Gruppenmitglied hat auch seine private Telefonnummer angegeben und wird seitdem nachts oft aus dem Schlaf gerissen und von anonymen Anrufern beschimpft. Neben dem „Coming out“ der Positiven in der Öffentlichkeit und der alltäglichen, gegenseitigen Hilfe verfolgt die Gruppe als wichtigstes Ziel den Aufbau eines Gesundheitszentrums, mit einem Cafe als Begegnungsstätte, einer Krisenintervention rund um die Uhr und einem Hospiz mit mindestens sechs Betten für Sterbende, die zu Hause nicht bleiben können und ins Krankenhaus nicht wollen. Die Einrichtung soll, wenn auch ohne professionelle Hilfe nicht denkbar, in den Händen der Betroffenen bleiben. Ein idealer Standort wäre das alte jüdische Krankenhaus in St. Pauli, das derzeit renoviert wird. Die Hamburger Gesundheitsbehörde hat grundsätzlich Unterstützung signalisiert, und „auch die Rathausfraktionen“, sagt Projektsprecher Helmut Zander, „haben zugesagt, das Projekt in den Haushaltsplänen für 1989/90 zu berücksichtigen, aber dann wird ein Drittel unserer Freunde bereits nicht mehr leben“. Die Suche nach dem Weg aus der Ohnmacht hat Beate „unheimlich viel Energie gegeben“. Zur Zeit baut sie eine Frauengruppe von HIV–Positiven mit auf. Als sie ihre Kollegen über ihre Situation aufklärte, war die Resonanz durchweg interessiert und verständnisvoll. Auch die Chefin, mit der sie wenige Tage später ein Gespräch führte, reagierte zunächst aufgeklärt. Nach einigen „schlaflosen Nächten“ jedoch kündigte sie Beate: Wegen der zu erwartenden Reaktionen der Kundschaft wolle sie die Fotografin nicht im Geschäft behalten. Die hatte zwar als Laborleiterin keinen Kundenkontakt, aber „was ist“, fragte die Chefin, „wenn die Leute erfahren, daß eine Positive ihre Negative in den Händen hält?“ Gegen diese Kündigung rechtlich vorzugehen, ist für Beate aussichtslos, sie arbeitete freiberuflich im Fotolabor. Und öffentlich mag sich auch den Namen und das Geschäft ihrer Arbeitgeberin nicht nennen, weil sie befürchtet, so erst recht die Chancen für einen neuen Arbeitsplatz zu verlieren. Nach Informationen der Regenbogen–Gruppe hat auch in München der Angehörige einer HIV–Positiven seinen Arbeitsplatz verloren, weil er ankündigte, in der heutigen ZDF–Sendung aufzutreten. „Seit ich weiß, daß ich nicht mehr lange lebe, bin ich stark“, hat Katrin Seybold ihren Beitrag genannt. Ihr Fazit: Ob man den Befund verschweigt oder in die Offensive geht - in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sich selbst für gesund hält, kann beides leicht den Weg in die Isolation zur Folge haben.