Wann läßt die Eiserne Lady den Lit drucken?

Mit den Freuden und Leiden einer Währungsreform steht Litauen vor ähnlichen Problemen wie die DDR  ■  Ruth Kibelka

Vor acht Jahren erschien in der damaligen Sowjetrepublik Litauen ein Buch mit dem Titel „Das litauische Folkloretheater“. Verfasser dieses Werkes ist der frisch gewählte Parlamentspräsident Litauens, der Musikwissenschaftler und Verdiente Kulturfunktionär, Prof. Vytautas Landsbergis. Ihm und den anderen Kandidaten zur Präsidentenwahl war aber klar, daß es sich bei den jetzt erfolgten Schritten zur Unabhängigkeit nicht um ein Folkloretheater, sondern um knallharte Realität handelt. Das spürte auch KP-Chef Brazauskas, der die Wahl eindeutig verlor. Es war jedoch schon vorher klar, daß er an die Persönlichkeit Landsbergis‘, der noch dazu über das derzeitige Plus verfügt, nicht Mitglied der KP zu sein, nicht heranreichen würde. So hat man nun auf diese Weise versucht, das Geflecht von Staat und Partei auf oberster Ebene zu entheddern. Es wird aber ähnlich wie bei uns lange dauern, bis der ganze Apparat auf unterster Ebene entfilzt ist.

Der Name Landsbergis geht uns ja noch gelaüfig von der Zunge. Schwieriger wird es, den Namen der neuen Premierministerin, der Wirtschaftswissenschaftlerin, Frau Dr. Kazimiera Prunskiene, zu lernen. Den litauischen Zeitungslesern ist dieser Name seit zwei Jahren sehr geläufig, da Frau Prunskiene regelmäßig Aufsätze zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit veröffentlicht. Nun wird aus der Eisernen Lady der Saj_udis, wie sie schon vor anderthalb Jahren scherzhaft genannt wurde, vielleicht die Eiserne Lady Litauens? Hoffen die Abgeordneten, daß die Wahl der Wirtschaftswissenschaftlerin die Lösungen zur ökonomischen Seite der Unabhängigkeit garantiert? Landsbergis und Prunskiene zählen zu den Avantgardisten der Saj_udis. Beide traten schon bei der ersten großen Veranstaltung der Bürgerbewegung am Vorabend der XIX. Parteikonferenz der UdSSR, am 24. Juni 1988 auf.

Landsbergis hielt damals eine seiner eindringlichen Reden unter der Überschrift „Wir leben auf den Ruinen unserer Kultur“, in der er deutlich beschrieb, welche Verfallserscheinungen sich nach 50 Jahren Sowjetherrschaft im Land zeigen. Die Prunskiene wies schon damals darauf hin, daß das Volkseigentum zu anonymen Eigentum geworden sei und sprach sich vehement dafür aus, die Wirtschaft Litauens aus dem Allunionsgeflecht zu lösen. Vor einem halben Jahr schrieb „Atgimimas“ - die Wochenzeitung der Saj_udis - daß in der UdSSR die Eigentumsbeziehungen so deformiert seien, wie kaum in einem anderen Land. Ökonomen wiesen darauf hin, daß der Rubel eine sterbende Währung sei und verlangten die Einführung eines nationalen Finanzsystems. Die Redaktion recherchierte und erfuhr, daß die Anlage zum Banknotendruck des litauischen Vorkriegsgeldes noch in der Papierfabrik in Lygatne steht. So ist es nicht unwahrscheinlich, daß der Lit (1 Lit 100 centas) wieder eingeführt wird. Mit den Freuden und Leiden einer Währungsreform steht Litauen vor ähnlichen Problemen wie die DDR. Die wirtschaftlichen Startbedingungen für die Unabhängigkeit sind hart, aber Warten lohnt nicht, das sowjetische Wirtschaftsschiff hat schon Wasser in allen Räumen und es gibt nichts Klügeres, als es schnellstens, aber nicht zu kopflos, zu verlassen. Einer muß beginnen. Litauen wird seine autoritäre Abhängigkeit zu Moskau in eine kooperative verwandeln.

Erwähnt sei an dieser Stelle noch, daß viele Staaten, darunter auch blockfreie und neutrale, so auch Jugoslawien und China, die Annexion der baltischen Staaten nie anerkannt hatten. Unterstrichen sei auch, daß Estland, Lettland und Litauen die einzigen souveränen Staaten sind, die im Zusammenhang mit den Ereignissen des zwieten Weltkrieges von der Landkarte verschwanden. Darüber wurde auch an anderer Stelle schon gesprochen, so auch in Teheran, am 1. Dezember 1943:

Roosevelt: „In den Vereinigten Staaten könnte die Frage nach dem Anschluß der baltischen Republiken an die Sowjetunion aufgeworfen werden und ich meine, daß die Weltöffentlichkeit fordern wird, daß irgendwann in der Zukunft die Meinung dieser Republiken zu diesem Thema geäußert wird. Darum meine ich, daß der Marschall Stalin dieses Anliegen im Auge behalten sollte. Ich persönlich bezweifle, daß die Völker dieser Länder auch so einstimmig für den Anschluß an die Sowjetunion votieren würden, wie es 1940 der Fall war.“

Stalin: „Litauen, Estland und Lettland hatten bis zur Revolution in Rußland keine Autonomie. Damals war der Zar Verbündeter der Vereinigten Staaten und Englands und keiner warf die Frage nach dem Austritt dieser Länder aus dem Gefüge Rußlands auf, warum berühren wir diese Frage jetzt?“