»Dafür gehn wir sogar in die Kirche«

■ Obdachlosen-Initiative »Plattengruppe« besetzt Haus in Oberschöneweide und wirbt um gute Nachbarschaft/ Sozialstadträtin sagt Unterstützung bei Verhandlungen mit Wohnungsgesellschaft zu

Köpenick. Geheimnisumwittert kommt der Mann aus dem Dunkeln zum verabredeten Treffpunkt. Die bestellten Journalisten führt er konspirativ durch die düsteren Gassen des Stadtteils Oberschöneweide. Nach gut fünf Minuten ist das Ziel erreicht: Leise Stimmen erklingen aus dem heruntergekommenen Haus. Lichtstrahlen von Taschenlampen huschen durch das Treppenhaus. Doch dann löst sich die Stimmung, das Licht geht an. Obdachlose aus der Selbsthilfeinitiative »Plattengruppe« haben, wie angekündigt, am Freitag abend ein Haus besetzt.

Seit mehreren Wochen hatten sie in mehreren Schreiben an Senat und Magistrat für sich ein Haus gefordert. Da sie aber noch nicht einmal eine Antwort erhalten hatten, nahmen sie ihr Anliegen selbst in die Hand und bezogen, trotz der gespannten Situation, eigenmächtig das Haus. Vor allem wollen sie damit »ihren Protest gegen die Wohnungsnot und den übermäßigen Leerstand von bewohnbaren Wohnungen kundgeben«, wie sie in einem offenen Brief an die Nachbarschaft schrieben. Ausdrücklich betonten sie, daß sie keinerlei Gewalt anwenden und einem Räumungsbefehl sofort und ohne Widerstand nachgehen würden. Das bedeute jedoch keine kampflose Aufgabe, wie der Sprecher der »Plattengruppe«, Hans-Jürgen Otto, betont: »Wir kennen noch eine Menge leerstehende Häuser.« Die 29 Besetzer haben sich für ihr neues Obdach viel vorgenommen. Anlaufstelle soll es werden, eine Begegnungsstätte für Arme mit Essensausgabe. Finanzielle Unterstützung erhofft sich die »Plattengruppe« vor allem vom Geldsäckel des ehemaligen PDS-Vermögens.

Die »Plattengruppe« kann sich schon hilfreicher Unterstützung rühmen. Die Sozialstadträtin von Köpenick, Helga Walter (SPD), hat für die Besetzer zunächst einmal erreicht, daß sie über das Wochenende in dem Haus bleiben konnten. Für heute nachmittag hat sie ein Beratungsgespräch mit der Köpenicker Wohnungsgesellschaft anberaumt. Die SPD-Politikerin hofft ebenso wie Vertreter vom Neuen Forum darauf, daß die Wohnungslosen dieses besetzte Haus behalten können und andernfalls ein anderes zur Verfügung gestellt bekommen.

Mit Decken, alten Sesseln, Matratzen wurde die für eine Einweihungsparty nötige Gemütlichkeit hergestellt. Die von Anwohnern gerufene Polizei ließ sich von der Freundlichkeit der Besetzer derartig entwaffnen, daß ihr nichts anderes übrig blieb, als sich wieder zu verziehen. Ein gutes Verhältnis zur Nachbarschaft sei den Besetzern sehr wichtig, sagt Hans-Jürgen Otto: »Dafür gehen wir sogar in die Kirche.« Der örtlichen Pfarrerin haben die neuen Gemeindemitglieder schon versprochen, am Sonntag in den Gottesdienst zu kommen. Ob es der Herrgott wohl richtet? lada