„Ich glaubte, alle mögen mich“

■ Zeitzeugin Janina Baumann las aus ihrem Buch: „Als Mädchen im Warschauer Ghetto“

„Juden raus, schnell, schnell.“ Janina Baumann, als Mädchen von den Nazis ins jüdische Ghetto von Warschau gezwungen, sprach gestern abend in der Villa Ichon nur wenige Worte auf deutsch. Die gebürtige Polin, die heute mit ihrer Familie in England lebt, war als Zeugin der Geschichte vor die ZuhörerInnenschaft in der übervollen Villa Ichon getreten.

Auf Englisch, mit einer warmen Stimme, die vom Alter schon ein wenig aufgerauht ist, las sie dort aus ihrem Buch „Als Mädchen im Warschauer Ghetto“. Darin Passagen eingeflochten, in denen sie mit eigenen Worten frei spricht. Immer wieder tauchte Deutsches auf, harsch und kalt: „Herr Offizier“ — und „Ruhe, Ruhe“. Das waren die Befehle der deutschen Nazis, die sie mit scharfem Klang in der Stimme wiedergab. So, als hätte sie sie gerade gestern noch gehört. Immer wieder das deutsche „schnell, schnell.“

Zwei lange Jahre, ab Herbst 1940, lebte Janina Baumann im Ghetto. Erst kurz zuvor hatte die Heranwachsende erfahren, daß es Antisemitismus gibt. Ihre Mutter mußte ihr erklären, daß Menschen Juden hassen — weil sie Juden sind, aus keinem anderen Grund: „Das sind Antisemiten.“

Das Mädchen Janina konnte es nicht glauben: „Ich war überzeugt, daß alle mich mögen“, berichtete Janina Bauman gestern. Das christliche Kindermädchen zerstörte ihr den Glauben, es käme auf den Menschen an: „Dich mag ich, ja“, sagte sie dem ihr anvertrauten Kind. „Aber nicht die Juden.“ Janina verstand.

Die Folgen dieses Hasses erlebte Janina im Ghetto. Ihr Bericht ist schrecklich. Es läßt sich im Zuhören nur andeutungsweise erfassen: Wie das Mädchen Menschen auf der Straße verhungern sah. Wie sie mit Freundinnen Gemüse anbaute, um den Hungrigen im Ghetto zu helfen. Wie sie sich mit Mutter, Schwester und Bekannten in einem fensterlosen Verschlag in der Wohnung des Onkels versteckte, um von den Nazis nicht gefunden zu werden.

Wie sie sich immer wieder für Dinge schämte, für die das Mädchen nicht verantwortlich war: Für das Kleid, was sie von der Mutter bekam. Für das Essen im Restaurant, während draußen Menschen verhungerten. Und dafür, daß andere ermordet werden könnten, wenn entdeckt würde, daß sie sich bei ihnen versteckt. Weil es überleben möchte.

Über all dies legte Janina Baumann Zeugnis ab, wie sie es versprochen hatte. Und über die Flucht in polnische Verstecke und ihr unerkanntes Überleben. Auch dafür schämte sich die Jugendliche: daß sie ihre Identität verleugnen mußte.

Janina Baumann hatte in Sabine Offe eine Übersetzerin, die den Worten einfühlsam Gewicht verlieh — und Nazi-Begriffe der Zeit mit einem solchen Vorbehalt aussprach, daß die Gänsefüßchen hörbar waren. Vor einem Publikum, das mit Respekt zuhörte — und am Ende keine Fragen mehr stellen mochte.

Eva Rhode