Mäuse lumpig, Star-Solist komatös

■ Auftakt des 4. Hamburger Musikfestes mit Philharmonikern und dem Pianisten Anatol Ugorski

Der Bürgermeister ist in Wirklichkeit immer noch viel kleiner als im Fernsehen. Seine Eröffnungsrede zum diesjährigen Musikfest gestern morgen in der Musikhalle fiel so dünn aus wie die stadtstaatliche Unterstützung zu diesem doch erfreulich innovativen Festival. Organisator Gerd Albrecht sprach auf dem anschließendem Empfang von „lumpigen Mäusen“ und lobte die Sponsoren. Ohne sie hätte der Staatsoperndirektor es in diesem Jahr nicht geschafft, eine spannende Mischung aus alt und neu - vorneweg Leute wie Brahms, Schönberg und Christou - zu präsentieren.

Albrecht selbst machte den Anfang mit Liszts Sinfonischer Dichtung Tasso, Lamento e Trionfo. Die Philharmoniker zeigten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Liszts beachtliche sinfonische Leistungen vor und musizierten einfach drauflos, wenn es im lamento auch mal etwas süßlich, im trionfo etwas zu pompös wurde. Ganz schrecklich wurde es in Beethovens Drittem Klavierkonzert c-moll op.37 mit dem, unlängst aus dem Nichts ganz oben aufgetauchten Pianisten Anatol Ugorski. Wie Gerd Albrecht nach dem Konzert einräumte, sei der Russe in den Proben nicht zu bewegen gewesen, seine Vorstellungen von Koma-nahen Beethoventempi aufzugeben. Albrecht mühte sich rechtschaffen, allein, Ugorski nahm bei jedem seiner Solo-Einsätze erstmal das ohnehin minimale Tempo heraus, würzte sein Spiel mit verblüffenden Phrasierungscoups, verzichtete auf keine Maniriertheit, vergaß darüber allerdings, daß bei Beethoven Musik wie Charakter durch grelle Kontraste, schroffe Wendungen, dynamischen Zugriff charakterisiert sind - keinesfalls durch eine schlaffe, wie wohl ganz manierliche Anschlagkultur und einen merkwürdig weichzeichnenden Klang.

Beethovens Drittes Klavierkonzert ist gewiß schwierig zu spielen, in ihm findet schließlich der Aufbruch des Orchesters zu endgültiger Befreiung von begleitender Subordination, hin zu sinfonischer Eigenständigkeit statt; gleichwohl waltet da noch viel mozartscher Geist und mithin ein Schwebezustand zwischen Vergangenheit und Zukunft, der den Reiz dieses Werks ausmachen kann. Ugorski bot indes Absturz statt Schweben, Langeweile statt Aufbruch - schade.

Nur gut, daß nach der Pause das bestens aufgelegte Staatsorchester Gerd Albrechts schnelle Tempi in Schönbergs witzig und genial instrumentierter Orchesterfassung von Brahms Klavier-Quartett in g-moll op.25 so wacker meisterte. Wehmut und Würze dieser Sturm-und Drang-Musik teilten sich mit, das Feuer des abschließenden Rondo alla Zingarese ließ gar viele der überwiegend grauen Köpfe im Parkett Wackeln. Das war endlich was!

Stefan Siegert