Besser betreut als entmündigt

■ Mehr Selbstbestimmung für „Beeinträchtige Menschen“ durch neues Gesetz

Sabine W. (30) lebt gegen ihren Willen in einem Altersheim. Seit einem Unfall vor drei Jahren ist die Frau auf den Rollstuhl angewiesen und auch geistig „beeinträchtigt“. Sabine W. erhielt einen Vormund, eine Rechtsanwältin, die sie in verschiedenen Heimen in Hamburg und Bremen unterbrachte. Als Vormund bestimmte sie den Aufenthalt von Sabine W.

Die will wieder in eine eigene Wohnung. Sie will selbst bestimmen können, wann sie aufstehen und essen will oder welche Menschen ihr bei der Bewältigung ihres Alltags helfen sollen. Seitdem Anfang vergangenen Jahres bundesweit das Vormundschaftsgesetz abgeschafft wurde, hat Sabine W. dazu auch einen Rechtsanspruch. Jetzt ist differenzierte Betreuung an die Stelle der Bevormundung getreten: mit, nicht für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Zum Beispiel können die Betroffenen ihre Betreuer mitbestimmen. Und jede Betreuung muß vom Vormundschaftsrichter alle fünf Jahre vor Ort, also in der Wohnung des Betroffenen, überprüft werden. Vormundschaftsrichter Hans-Gerd Fischer: „Wir sind Straßenrichter. Auf uns lastet auch ein Stück Sozialarbeit. Mit dem neuen Gesetz muß sich vor allem etwas in den Köpfen ändern. Auch bei uns Richtern.“

Die Betreuung schließt die Geschäftsfähigkeit der Menschen im Gegensatz zu früher nur noch selten aus. Oft muß nur eine Finanzfrage oder eine Operation entschieden werden. Seit Einführung des Betreuungsgesetzes durften ehemals Entmündigte endlich heiraten oder Testamente machen.

Und anders als mit dem alten Recht sollen vor allem Ehrenamtliche die Betreuung übernehmen. Dadurch entsteht zwischen Betreuer und Betreutem auch eine persönliche Beziehung. Heinrich Helmes, ehrenamtlicher Betreuer: „Ich betreue eine geistig behinderte Frau, die ich auch oft besuche. Wenn ich sie zum Eisessen einlade, freut sie sich schon Tage vorher wie eine Schneekönigin. Und ich freue mich, wenn ich nicht alleine in die Eisdiele muß. So haben wir beide etwas davon.“

Mit dem alten Vormundschaftsgesetz hatten vielfach Rechtsanwälte diese Aufgabe übernommen, manche „versorgten“ bis zu 100 „Fälle“, die erfahrungsgemäß ihre Vormünder oft jahrelang nicht zu Gesicht bekamen. Mit 60 Mark pro Stunde durften und dürfen Profi-Betreuer nach altem wie neuem Gesetz ihre Arbeit abrechnen.

Sabine W. ist aktiv genug, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie suchte sich eine neue Betreuerin, die ihren Auszug aus dem Altersheim mitunterstützt und ihr dabei hilft. Sie fand diese Betreuerin beim „Hilfswerk e.V.“, einer Einrichtung von „Lebenshilfe“ und „Selbstbestimmt Leben“. Das „Hilfswerk“ ist einer von drei staatlich unterstützten Betreuungsvereinen, die aus der Bevölkerung ehrenamtliche BetreuerInnen werben, beraten, weiterbilden und unterstützen sollen.

Nach Schätzung der Behörden gab es in Bremen und Bremerhaven 1991 7.000 Vormundschaften und Pflegschaften. Vormundschaftsrichter Hans-Gerd Fischer geht von 500 neuen Fällen pro Jahr aus. Don Siegert, in der Sozialbehörde für Betreuung zuständig, vermutet, daß die Hälfte mittlerweile von Ehrenamtlichen und Angehörigen betreut werden, etwa 10 % der Menschen erhalten behördliche Betreuer, weitere 40 % Rechtsanwälte. Von 719 von seinem Amt Betreuten waren 1992 42 % psychisch krank, 20 % suchtkrank, 2 % drogenabhängig, 14 % geistig behindert, 11 % altersdement und 12 % mehrfach behindert.

Welche Karteileichen und mittlerweile selbständig gewordene Menschen sich unter den Altfällen befinden, ist völlig ungewiß. Richter Fischer: „Es ist illusorisch, die schnell abbauen zu können.“ Dem Gesetz nach sind dazu auch fünf bis zehn Jahre Zeit. Don Siegert schätzt dann auch, daß die Gerichte erst in zehn Jahren soweit sein werden, per EDV die Daten zu liefern, die Politiker und Behörden sich wünschen. Birgitt Rambalski