Blüm soll die Platte putzen

Der Bundessozialminister soll als Nothelfer Spitzenkandidat für die zerstrittenen CDUler in Nordrhein-Westfalen werden  ■ Aus Düsseldorf Johannes Nitschmann

Düsseldorf (taz) – Manchmal sind kleine Dinge von großer Bedeutung. Seit Tagen wartet der Kreisgeschäftsführer der Dortmunder CDU, Klaus Borchert, „auf ein Signal“ von Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (58), um endlich die Delegiertenversammlung für die Aufstellung des Bundestags-Direktkandidaten im Dortmunder Norden einberufen zu können. Womöglich kann Borchert noch lange warten. Denn Blüm, seit 1985 CDU-Direktkandidat in der heimlichen Hauptstadt der Sozialdemokratie, ist derzeit unschlüssig, ob er für den Bundestag 1994 überhaupt noch einmal kandidieren wird.

Maßgebliche CDU-Strategen in Nordrhein-Westfalen bedrängen den dienstältesten Kohl-Minister gegenwärtig massiv, seine Karriere als Bundespolitiker zu beenden und „ohne Bonn-Rückfahrkarte“ bei der kommenden Landtagswahl 1995 an Rhein und Ruhr als CDU- Spitzenkandidat anzutreten. Schöne Aussichten sind das nicht. Denn die CDU krebst in der Sozi- Hochburg NRW nach den jüngsten Meinungsumfragen bei mickrigen 28 bis 30 Prozent herum. Statt Staatskarosse und Ministerapparat droht „Kumpel Nobby“ die harte Oppositionsbank im Düsseldorfer Landtag. Ein Blüm- Intimus: „Die Sache quält ihn.“

Dabei hat die NRW-CDU an Möchtegern-Spitzenkandidaten nicht einmal Mangel, etwa ein halbes Dutzend steht schon in den Startlöchern. Nur eine überzeugende Persönlichkeit, die die rund 240.000 CDU-Mitglieder einigermaßen geschlossen hinter sich bringen kann, ist bislang nicht darunter. Den notorisch-streitsüchtigen CDU-Krawallos zwischen Rhein und Weser drohen Richtungs- und Grabenkämpfe wie in alten Zeiten. Nach Lage der Dinge könnte alleine ein Spitzenkandidat Blüm die Partei vor einer Zerreißprobe bewahren.

Doch unumstritten ist nicht einmal CDU-Landeschef Blüm. Vor allem der Wirtschaftsflügel um den Rechtsausleger Hartmut Schauerte aus der sauerländischen CDU-Hochburg Olpe macht gegen den in diesen Kreisen immer noch als „Herz-Jesu-Marxisten“ beargwöhnten Arbeitsminister bereits mobil: „Hat denn der das letzte Landtagswahlergebnis immer noch nicht zur Kenntnis genommen?“ Mit dem Spitzenkandidaten Blüm stabilisierte sich die desolate NRW-CDU 1990 auf denkbar niedrigem Niveau bei 36,7 Prozent; seither geht es nach den Prognosen der Demoskopen sogar weiter bergab. Auch die von Blüm mitinitiierte Parteireform, die den CDU-Honoratioren eine „neue Bescheidenheit“ mit Verzicht auf Aufsichtsratsposten und Doppelmandate verordnet, hat ihm keine neuen Freunde gebracht.

Das CDU-Präsidiumsmitglied Christa Thoben (52), selbst als mögliche Spitzenkandidatin im Gespräch, warf den Parteireformern um Blüm und seinem Generalsekretär Herbert Reul in einem am Mittwoch bekanntgewordenen Brief an alle 54 Kreisvorsitzenden der NRW-CDU „unaufrichtigen Populismus“ vor. Hier werde Politik im Stile von „TED-Umfragen“ gemacht. „Da machen sich hauptberufliche Politiker auf den Weg, von Parteien entsandte Mitglieder aus allen möglichen Gremien zu entfernen. Ich halte den Weg, der derzeit propagiert wird, für verfehlt“, heißt es in der dreiseitigen Thoben-Philippika.

Eine „natürliche Anwartschaft“ auf die CDU-Spitzenkandidatur hat der amtierende CDU-Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag, Helmut Linssen (50). Der windschnittige Polit-Yuppie aus großbürgerlichem Hause, ein klassischer Anti-Blüm-Typus, drängt hinter den Kulissen seit Monaten schon in die Rolle des Rau-Herausforderers. Doch die Parteibasis steht den Ambitionen des als farb- und profillos geltenden CDU-Oppositionschefs ausgesprochen reserviert gegenüber.

Sie sucht weiter nach einem Hoffnungsträger in der CDU-Diaspora. Immer wieder kommen neue Kandidaten ins Gespräch. Neben der Reformkritikerin Thoben werden vor allem der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Rüttgers (42), sowie die beiden Bonner Staatssekretäre Reinhard Göhner (40) und Norbert Lammert (44) genannt; neuerdings wird auch der aus Bochum stammende Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (53) gehandelt.

CDU-Parteichef Helmut Kohl überzeugt bislang offenbar keiner der genannten Kandidaten. Kohl, so ist aus dem Kanzleramt zu hören, suche im Hinblick auf 1995 für die NRW-CDU „nach einem Spitzenkandidaten vom Kaliber eines Christian Wulf“. Doch so einen Polit-Senkrechtstarter wie die Niedersachsen-CDU haben die Christdemokraten an Rhein und Ruhr nicht in ihren Reihen.

Am Ende, so wird in der Umgebung des Bundesarbeitsministers befürchtet, könnte der Job des Spitzenkandidaten am kumpeligen Nobby hängenbleiben. Seine Bonner Zuträger raten ihm von solch einem „Opfergang“ ganz entschieden ab. „Der geht da kaputt, bei diesem Hauen und Stechen in der Provinz.“