Arbeit ohne Geld

■ Serie "Stets zu Diensten" (letzter Teil): Soziologe Häußermann will mit Tauschbörsen mehr Beschäftigung im Dienstleistungssektor schaffen. Auf neue Lohnjobs setzt Wirtschaftsforscher Brenke

Die Industrie stirbt, neue Branchen und Dienstleistungen wachsen nicht schnell genug nach – und in Berlin schon gar nicht. Wie kann man neue Jobs schaffen?

Hartmut Häußermann: Das Beschäftigungsniveau läßt sich nur steigern durch die Ausdehnung von personenbezogenen und sozialen Diensten. Beispiele sind Altenpflege, Kinderbetreuung, Haushaltshilfen. In diesen Bereichen gibt es in der Bundesrepublik viel weniger Arbeitsplätze als in den USA, Schweden und auch Großbritannien. Bei den produktionsorientierten Dienstleistungen dagegen – darunter fallen EDV- Entwickler, Marketingleute, Telekommunikation und ähnliches – ist der hiesige Anteil an der Erwerbsarbeit schon so hoch wie den USA. Das kann also nicht die Lösung sein. Wer aber die sozialen Dienste als Ausweg anpreist, muß sich vorher überlegen, was für eine Gesellschaft das dann sein wird.

Karl Brenke: So geht es nicht. Vor zwei Wochen hat debis seine neue Zentrale am Potsdamer Platz eröffnet: Das bringt Berlin neue Stellen in den Finanzdienstleistungen und anderen Bereichen. In den vergangenen Jahren konnte man sehen, daß die unternehmensnahen Dienste einen erheblichen Zuwachs der Beschäftigung zu verzeichnen hatten. Das wird sich fortsetzen. Bei der Zahl der Dienstleistungsunternehmen sind wir nämlich keineswegs auf dem Niveau der USA.

Häußermann: Nein, der Zuwachs wird nicht höher sein als der Verlust bei Industriearbeitsplätzen. Wie auch? Die Menge der Arbeit, die wir brauchen, um Güter herzustellen, nimmt durch die Rationalisierung ab. Selbst wenn es zusätzliche Dienstleistungstätigkeiten im Umkreis der Produktion geben sollte, steigt die Zahl der Jobs nicht. Das ist im besten Fall ein Nullsummenspiel.

Brenke: Wieso Nullsummenspiel? Ihre Sichtweise ist eine statische. Zwar ist die Zahl der Jobs in der Bundesrepublik gesunken – aber nur wegen des geringen Wachstums. Wenn man aber ein Wachstum hat, das höher ist als die Produktivitätssteigerung, kann die Beschäftigung auch steigen.

Was passiert, wenn man die sozialen Dienste ausbaut?

Häußermann: In den USA können sich Millionen von Menschen, die in diesen Branchen arbeiten, nicht ausreichend finanzieren. Es entsteht eine Schicht von working poor. Die Löhne sind zu gering, und eine soziale Absicherung sucht man oft vergebens.

Wenn die sozialen Dienste wachsen, führt das zu verstärkter Polarisierung der Gesellschaft in Arme und Reiche?

Häußermann: Soll das Wachstum vor allem durch konsumorientierte Dienste getragen werden, ist das kaum anders denkbar. Aber es gibt Alternativen.

Die produktionsorientierten Dienste führen in Ihren Augen nicht zum Erfolg, die sozialen zur Spaltung der Gesellschaft. Woher kommen neue Jobs?

Häußermann: Durch die Umverteilung der Arbeitszeit von den Hochlohnjobs zu den schlechtbezahlten Tätigkeiten.

Wie das? Man kann Arbeitszeit und Lohn unter den Beschäftigten der Berliner Verwaltung neu verteilen, aber nicht von debis zu einem Pflegedienst verschieben.

Häußermann: Wenn gutbezahlte Bankangestellte oder EDV- SpezialistInnen nur halbtags oder auf Zwei-Drittel-Stellen arbeiten würden, entstünden zusätzliche Jobs. Und in den Haushalten würde so viel Zeit freigesetzt, daß schlechtbezahlte Pflegedienste nicht notwendig werden. Das ist eben ein anderes Modell. Personenorientierte Dienste müssen nicht unbedingt erwerbsförmig organisiert sein. Das können auch die Familien, Nachbarschaften und Freundeskreise machen. Man kann Arbeitszeit in die informellen Sektoren umverteilen.

Brenke: Die Teilung der Erwerbsarbeit ist schwierig. Denn gerade die Leute mit den hochbezahlten Stellen identifizieren sich häufig mit ihrer Tätigkeit. Und diejenigen, die wenig Geld haben, können sich die Arbeitszeitverkürzung oft nicht leisten. Die soziale Spaltung der Gesellschaft kann man im übrigen nur durch ein höheres Niveau der Erwerbstätigkeit mindern. Das eigentliche Problem ist ja heute nicht die Spaltung in Leute mit abgesicherten Jobs und in solche, die in prekären Verhältnissen arbeiten. Es ist vielmehr die hohe Arbeitslosigkeit, die zum Beispiel in Kreuzberg auf die 30 Prozent zugeht – mangelnde Integration von Millionen in die formelle Erwerbsarbeit also.

Wovon sollen die Leute leben, wenn sie unentgeltliche Nachbarschaftsdienste leisten?

Häußermann: Das ist die Frage der sozialen Grundsicherung, die in Zukunft ohnehin allen gewährt werden muß. Ich beschreibe eine Option: Durch informelle Arbeit in sozialen Diensten steigt die Lebensqualität, ohne daß sich Menschen mit Billigjobs quälen müssen, die sie kaum ernähren. Wir können uns doch hoffentlich noch einen Zustand vorstellen, in dem die Menschen nicht nur als ausgebeutete Wesen leben, die unter allen Umständen in die Erwerbsarbeit gepreßt werden, und wir diese gespaltene Gesellschaft mit Massen von Dienstleistern bekommen, die uns die Schuhe putzen. Eine informelle Organisation kann zum Beispiel so aussehen, daß Leute in einen Ring eintreten und in einem Teil der Stadt Altenpflege anbieten. Als Gegenleistung verlangen sie kein Geld, sondern andere Dienste: Andere Leute machen ihnen die Wohnungen sauber oder geben Nachhilfe für die Kinder.

Es lebe die Naturalwirtschaft.

Häußermann: Allen geht es dabei besser. Ohne daß eine Mark den Besitzer wechselt. Die Attraktivität dieses neuen Kreislaufs kommt nicht daher, daß man Geld verdient wie in der herrschenden Ökonomie, sondern daß man anders arbeitet, daß man über Arbeitszeiten, Qualitäten und Inhalte bestimmen kann. Man wird dann auch die Austauschverhältnisse ändern. Während ich jetzt beim Rechtsanwalt 350 Mark pro Stunde bezahle, nehme ich in dem Ring eine Rechtsanwaltsstunde und versorge dafür sein Kind drei Stunden. Das reduziert die Spreizung im Wert der Tätigkeiten und vermindert die Polarisierung.

Brenke: Wenn der Rechtsanwalt so blöd ist, für drei Stunden Kinderbetreuung quasi 350 Mark zu zahlen, kann das klappen. Ihre Idee stößt natürlich auch auf andere Probleme. Der Staat wird sich beschweren, weil er keine Steuern bekommt. Es gibt dann einen Bereich der Ökonomie, der sich aus den allgemeinen Pflichten heraushält. Die Schulen sollen andere bezahlen? Das gefällt mir nicht.

Braucht Berlin, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, vor allem Dienstleister, die den Bedarf der hiesigen Bevölkerung decken, oder muß man sich an der globalen Nachfrage orientieren?

Häußermann: International tätige Unternehmen wie debis sind schon wichtig. Denn die produktionsorientierten Dienste für überregionale Märkte sind typische Produkte, die in Großstädten hergestellt werden. Man darf das aber nicht zum alles beherrschenden Modell erheben.

Brenke: Ich sehe das anders. Es kommt darauf an, daß die Stadt ein stärkeres Profil in der überregionalen Arbeitsteilung gewinnt als bisher. Da kann man die einzelnen Bereiche durchdeklinieren: Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Telekommunikation und andere – überall hat man deutliche Rückstände und muß sie aufholen. Stark ausgeprägt ist in Berlin nur der Staatssektor.

Häußermann: Wenn ich dem Wirtschaftssenator Vorschläge zu machen hätte, würde ich ihm raten, möglichst wenig nach außen zu orientieren. Die Entwicklungen innerhalb der Stadt – darauf sollten sich die Wirtschaftspolitiker stützen. An allen Ecken neue Technologien und Dienstleistungen fördern, das wäre meine Politik.

Wieso ist der Export von Dienstleistungen wichtig?

Brenke: Weil man den notwendigen Import finanzieren muß. Eine Stadt oder Region ist wie eine kleine Volkswirtschaft. Wenn hiesige Unternehmensberater ihre Leistungen nach draußen verkaufen, holen sie Geld herein, und das kann für den Kauf auswärtiger Produkte ausgegeben werden.

debis bringt Geld nach Berlin, Altenpflegedienste tun das nicht?

Brenke: Ja. Die Stadt kann nicht alleine davon leben, daß die Leute sich gegenseitig die Autos reparieren. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft muß man für den staatlichen und privaten Verbrauch auch Leistungen erbringen, um ihn finanzieren zu können.

Man kann das Problem einer zu geringen Exportbasis in ganz Ostdeutschland beobachten. Der Wert der Güter, die dort konsumiert werden, ist viel geringer als der Wert der dort hergestellten Produkte. Was folgt daraus? Der Staat bezahlt die Differenz, indem er Milliarden in den Osten überweist. So ähnlich ist das auch in Berlin.

Welche überregionalen Dienstleistungen würden Sie denn fördern?

Brenke: Wenn ich das so genau wüßte...Vielleicht kann es der internationale Austausch mit Osteuropa sein. Handel, Kultur, Verkehr, Technologie, Ausbildung. Schließlich sprechen hier so viele Leute Russisch wie in keiner anderen europäischen Stadt.

Häußermann: Nach dem Krieg wurden die Funktionen Berlins auf die westdeutschen Städte verteilt. Die Banken gingen nach Frankfurt, die Medien nach Hamburg und Köln. Die kulturelle Hegemonie der 20er Jahre ist ebenfalls dahin. Wenn der Senat da mit den anderen Städten konkurrieren will, kann ich nur sagen: Das ist Pfeifen im Walde. Die zukünftigen Funktionen Berlins können nicht woanders abgeworben, sie müssen hier entwickelt oder neu erfunden werden. Interview: U. Rada, H. Koch