Der Friedensprozeß steht auf der Kippe

■ Nach dem Anschlag auf eine Ölpipeline droht der Friedensprozeß in Kolumbien zu scheitern. Besonders die ELN-Guerilla gerät unter Druck

Berlin (taz) – Der Friedensprozeß, der in Kolumbien begonnen hat, steht vor einer harten Probe – und zwar nicht nur wegen des jüngsten Anschlags auf eine Pipeline durch die ELN-Guerilla. Nach der Ermordung des Gewerkschaftsführers Jorge Ortega organisierten Kolumbiens Gewerkschaften am Donnerstag einen 24stündigen Generalstreik. Die größte Kundgebung fand mit 200.000 Teilnehmern in Bogotá statt. Seit fast drei Wochen sind die staatlichen Angestellten im Ausstand. Die ELN (Heer zur nationalen Befreiung), zweitgrößte Guerillagruppe des Landes, nutzt die gewerkschaftliche Front gegen die angekündigte Austeritätspolitik von Präsident Pastrana und die Repressionen von rechtsaußen zu einer publizistischen Gegenoffensive. Die Regierung zeige ihr „kriegstreiberisches Wesen“, und von der „ersehnten politischen Lösung“ bleibe nur „Geschwätz“, heißt es in einer Erklärung. Durch die Sprengung einer Pipeline in der Nacht zum Sonntag war die ELN zuvor in Erklärungsnotstand geraten. 130 Menschen, von denen bisher 56 gestorben sind, fielen der Feuersbrunst zum Opfer. „Das Feuer wurde von der Armee gelegt. Es wäre nicht das erste Mal“, behauptet Pablo Beltrán, die „Nummer drei“ in der ELN-Hierarchie, gegenüber der taz. „Am meisten schmerzt uns, daß es die Armen getroffen hat, von denen viele Söhne in der Guerilla kämpfen.“

Die ELN fordert eine unabhängige Untersuchung der Katastrophe. „Wenn unser Teil der Verantwortung festgestellt worden ist, sind wir zu Reparationszahlungen bereit“, so Beltrán. Allerdings verteidigt er die Anschläge. „Wir wollen die Regierung zwingen, über ihre Erdölpolitik zu diskutieren, die den Multis über 25 Prozent der Reingewinne zusichert. Der Rest des Geldes fließt in die schwarzen Kassen der Regierung.“ Erst wenn der Druck der Guerilla durch gesellschaftlichen Druck abgelöst werde, könne auf Sprengungen verzichtet werden.

Zeitgleich mit dem Anschlag veröffentlichte die Zeitung El Espectador neue Erkenntnisse über British Petroleum (BP), den größten Auslandsinvestor im Lande. Danach arbeitet der Ölmulti eng mit der Armee und paramilitärischen Einheiten zusammen. Mit von BP an die Armee gelieferten „nicht tödlichen Hilfsmitteln“, darunter 60 Nachtsichtgeräten, sollte die Pipeline in einem 115 Kilometer langen, von ELN und Paramilitärs umkämpften Teilstück geschützt werden. Belegt sind auch Zahlungen der Sicherheitsfirma Defence Systems Limited an die Armee über 310.000 Dollar.

Seit 1991 beutet BP in der Provinz Casanare Ölfelder aus, deren Gesamtwert auf 50 Mrd. Dollar geschätzt wird. Unter Umweltschäden und vor allem dem Konflikt „niedriger Intensität“ zwischen ELN sowie Armeebrigaden und Paramilitärs leidet vor allem die Zivilbevölkerung. 140 Menschen wurden von Paramilitärs innerhalb eines Jahres allein im Gebiet von Segovia umgebracht, in dem der Unglücksort liegt.

Unterdessen hat Andrés Pastrana die Vorwürfe an die Armee zurückgewiesen und die Behörden zur raschen Aufklärung der Explosion aufgefordert. Vor zwei Wochen hatte seine Regierung die ELN als politische Kraft anerkannt und zwei ihrer Sprecher zu Friedensgesprächen aus dem Gefängnis beurlaubt. Die im Juli bei Würzburg beschlossene Nationale Konvention soll ab Februar 1999 in sechs Etappen stattfinden.

Zur Absicherung der Gespräche wird der Ruf nach einer „Wahrheitskommission“ unter internationaler Beteiligung immer lauter. Nur unabhängige Beobachter könnten sicherstellen, daß sich die Kriegsparteien an ihre Zusagen hielten, die Zivilbevölkerung zu schonen, heißt es aus Kreisen der ELN-Gesprächspartner. Deren Zweifel am Friedenswillen der Rebellen sind gewachsen. Der Journalist Francisco Santos faßt die Stimmung so zusammen: „Die Regierung und die Gesellschaft haben das Ihre getan. Nach dem Anschlag sind die ELN-Kämpfer am Zug. Hoffentlich vergeuden sie nicht diese historische Chance.“

Trotz allem sieht die Regierung zu Verhandlungen keine Alternative. Priorität genießen dabei die mächtigen „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC). Die erste FARC-Forderung wird derzeit erfüllt: Im Südosten zieht sich das Militär ohne Gegenleistung aus einem Gebiet von 42.000 Quadratkilometern zurück, wo der Dialog am 7. November aufgenommen werden soll. Gerhard Dilger