Intimes Liebesgeflüster in Afrika

■ Der österreichische Erzählkünstler Josef Hader erntete für seinen Ulk im Schauspielhaus Lachsalven

Fast schon gehört es zum guten Ton, auf die vielen neuen Spaßformen jenseits des guten alten aufklärungswilligen Scheibenwischerkabaretts herumzuhacken. Scheiß Comedy-Himbeersoßigkeit! Dabei sollte seit Dada eigentlich klar sein, dass auch die pure Sinnlosigkeit bewusstseinsschärfend wirken kann. Claus Hösselbarth, ausgewiesener Kicher-Fachmann vom Kulturzentrum KITO, schwärmt von den vielen neuartigen HumorVarianten, die er in der letzten Zeit entdecken durfte. Längst heißt Ironie nicht mehr, das Gegenteil vom Gemeinten zu sagen, sondern das Gegenteil vom Gegenteil vom Gegenteil... Und Josef Hader ist ein Meister dieses vertrackten Hase-und-Igel-Spiels mit den Erwartungen des Publikums, mal mit, meist aber ohne politische Message.

Mit seinem vor fast fünf Jahren zur Welt gekommenen Work-in-progress „Privat“ ist der Österreicher nun endlich auch in Bremen gelandet. Seit „Indien“, das legendäre Wiener-Schnitzel-und-Krebstod-Theaterstück von Hader und Freund Alfred Dorfer, 1993 verfilmt und in Wien, Berlin sowie in der Kantine des Hamburger Schauspielhauses auf renommierte Bühnen kam, füllt der nur notdürfig mit dem Begriff „Kabarettist“ beschriebene Mann mit der Woody-Allen-Brillichkeit alle Säle spielend. Verblüffte in „Indien“ der radikale Schwenk von der heiter-deliranten Groteske zum melancholischen Rührstück, so beeindruckt „Privat“ durch das wilde Gewusel von Stimmungen. „Privat“ ist so komponiert wie die späten Streichquartette Beethovens, also wie das Leben. Übergänge weiten sich zu eigenständigen Themen aus und Durchführungen kommen an ein vorschnelles Ende. Was heiter anfängt endet grausam und aus Dahingeplätschere erschreckt plötzlich ein Schrei – oder ein süffisantes Grinsen.

Gerne pirscht sich Hader an die Grenze Schluss-mit-lustig heran. Und zwar nicht nur bei bad-taste-Abtauchen ins schleimige Gedärm von Mensch, Stadt und Land, sondern auch mit einem Liebesidyll, nachts, unterm Sternenzelt, in Afrika, händchenhaltend, nach dem Motto: Liebes Publikum, wie viel Sentimentalität hältst du eigentlich aus, hihi. Natürlich fehlt auch da der Stilbruch nicht. Traurig wird es in sanftmütigsten Plauderton. Die geliebte Frau verhungert, nein nicht wirklich aus Nahrungsmangel, sondern weil sie Dauerdurchfall hat, soooo ein Durchfall, und weil niemand die rettende Kochsalzlösung zahlen kann, man ist schließlich in Afrika, und weil die WTO-Verhandlungspartner damit beschäftigt sind, in Auschwitz niewiederniewiedernie zu psalmodieren statt sich um den Weltmarkt zu kümmern.

Und dann ulkt Hader seiltänzerisch über die Standardfrage: Auschwitz im Kabarett, darf man das, und driftet irgendwann beiläufig ab zu Reinhold Messner, dem es als allerersten Menschen der Welt gelang, einen Kopfstand in der Wüste zu machen, während er sich beim Nasenbohren die Schädeldecke zertrümmerte. Der erste selbstmörderische Nasenbohrer in Haders Programm ist Messner aber nicht.

Und Hader liebt es ganz generell Motive abzulegen, in ganz anderem Kontext wieder aufzunehmen und so anstelle eines roten Fadens viele kleine glitzernde Lurexfäden durch seine mäandernden Hirngespinste zu ziehen. Zwischen Wetten in der Hölle und Netzhautproblemen im Himmel streift diese Autobiografie alle denkbaren Orte unserer Welt, an denen sich Menschen in der Regel nicht aufhalten, dafür sprechende Scheißbatzen und psychotherapierte Blumentöpfe.

Losgegangen aber ist alles ganz zäh und furchtbar langsam, beziehungsweise mit der Ankündigung, dass alles ganz zäh und langsam beginnt. Hader will das Publikum ärgern, das Publikum weiß, dass es geärgert werden soll und freut sich, was Hader wiederum weiß und freut. Einziger Grund zum Nichtfreuen für Tittentazzler: Da Hader in diversen Textpassagen sich liebevoll und manchmal blutig dem männlichen Geschlechtsteil widmet, hingegen die weibliche Anatomie ignoriert, muss ein Verstoß gegen die Frauenquote angemahnt werden. bk