nachrichten aus 2002
: Sind wir drin?

Vor zwei Jahren lachte die ganze Welt über die USA. Heute lacht sie über Deutschland. Und das nur, weil Berlin eine offensichtliche Unsitte aus Amerika einführte: Wahlmaschinen.

23 Stimmen zu wenig, das ist das für die PDS frustrierende Ergebnis des letzten Zählstandes der gestrigen Bundestagswahl. Die fehlen der Partei, um ein Direktmandat im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu gewinnen und damit die Beteiligung im Bundestag zu sichern. Auch bei den Zweitstimmen kommt die PDS bundesweit auf eine Anteil von dramatisch knappen 4,9997 Prozent.

Da von einer Vertretung der PDS im Bundestag aber auch die Mehrheit von Rot-Grün in der Bundesregierung sowie die Bestätigung Gerhard Schröders im Amt des Bundeskanzlern abhängt, ist über das Ergebnis eine bundesweite Debatte ausgebrochen.

Der Sündenbock sind dabei die neuen Wahlmaschinen, die in 150 Wahllokalen der Hauptstadt probeweise eingesetzt wurden. Darunter sind auch sämtliche Wahlstationen im kritischen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Offensichtlich sind mehrere Computer kurzzeitig abgestürzt, mehrere sogar gänzlich ausgefallen und durch neue Geräte ersetzt worden.

Die PDS zweifelt nun, ob alle bis dahin gesammelten Daten auf den jeweiligen Disketten gespeichert wurden. SPD und Grüne forderten den Bundeswahlbeauftragten auf, einen Krisenstab aus Parteivertretern und Spezialisten der Conputerbranche zu bilden, die alle gesammelten Daten überprüfen sollen. Die PDS dagegen hält eine komplette Neuwahl für die einzige Lösung – mit klassischen Stimmzetteln natürlich. Denn anders als vor zwei Jahren in den USA kann nun nicht einmal mehr per Hand nach gezählt werden.

Die Wahlmaschinen haben Touchscreens, ähnlich wie Geldautomaten: Auf dem Bildschirm sind die Parteien und Kandidaten wie auf einem Stimmzettel aufgelistet. Statt ein Kreuz zu machen, drückt der Wähler nur mit dem Finger auf den entsprechenden Kreis. Nach der Eingabe erscheint ein Zusammenfassung der Angaben, die der Wähler mit „OK“ bestätigen muss. Wahlzettel gibt es keine.

Den Anstoß für eine Einführung dieser Wahlautomaten hatte Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskas vor knapp zwei Jahren gegeben. Am 5. Januar 2001, also nur wenige Monate nach dem Debakel um die Stimmenauszählungen bei den US-Präsidentschaftswahlen, ging er mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit. Sein Ziel: ein noch schnelleres Wahlergebnis. Das Ergebnis: Chaos.

Einen Absturz der Geräte könne es nicht geben, hatte Schmidt von Puskas damals gegenüber der taz gesagt. Selbst bei einem Ausfall blieben „alle bislang abgegebenen Stimmen garantiert auf der Diskette gespeichert“.

Auch die PDS wiegte sich damals noch in Sicherheit. „Warum denn nicht?“ hatte Hanno Harnisch, Sprecher der Bundes-PDS, den Vorschlag des Wahlleiters kommentiert. „Wir haben keine Angst vor modernen Systemen, solange alle Möglichkeiten der freien Stimmabgabe gewährleistet sind.“

Die internationalen Reaktionen auf die Wahl sind gemischt. US-Präsident Bush hat für eine Anerkennung der jetzigen Ergebnisse votiert. Sein ehemaliger Rivale Al Gore hat eine Unterstützung im Krisenstab zugesichert. Der Euro ist seit Bekanntwerden der knappen Zahlen auf einen neuen Tiefststand gerutscht. MAJA DREYER