Der Countdown für Milosevic läuft

Viele Serben wollen Jugoslawiens Expräsidenten schnell vor Gericht sehen. Derzeit häufen sich auch Privatklagen gegen Milosevic. Die neue Regierung scheint bereit, mit dem UN-Tribunal zu kooperieren. Von Auslieferung ist weiter keine Rede

Aus Belgrad IVAN IVANJI

„Ich würde gern Milošević’ Gesicht sehen, wenn ihn die Polizei abführt“, sagt ein Belgrader Taxifahrer. So wie er denken derzeit viele in Serbien. Mittlerweile wird die Debatte auch in den Medien ausgetragen. So werden hier fast täglich Vorwürfe an die Adresse der neuen Machthaber erhoben, warum die führenden Personen des gestürzten Regimes nicht schon zur Verantwortung gezogen worden seien.

Der jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica jedoch hält sich zurück. Er wäre nicht besser, als seine Vorgänger, wenn er Verhaftungen forcieren würde, warnte er. Ähnlich äußerte sich der künftige Premier Serbiens, Zoran Djindjić. Es sei nicht Aufgabe der Regierung, Verhaftungen vorzunehmen, sondern das Umfeld für unabhängige Staatsanwaltschaften und Gerichte sowie deren Tätigkeit zu schaffen. Auf Nachfrage betonen Djindjić und Koštunica jedoch, Slobodan Milošević würde sich noch vor dem Frühjahr für seine Taten verantworten müssen.

Unterdessen häufen sich auch private Klagen gegen Milošević, angefangen von Wahlbetrug bis hin zu privater Bereicherung. Auf Grund einer Anzeige wegen Anstiftung zum Wahlbetrug konnte die Belgrader Staatsanwaltschaft keine Anklage erheben. Die angeklagten Mitglieder der obersten Wahlkommission hatten Milošević nicht belastet.

Viel schwerer wiegen die Anklagen gegen Milošević wegen Völkermord und Kriegsverbrechen die beim internationalen UNO-Tribunal in Den Haag anhängig sind. Bisher hieß es oft, Milošević könne nicht ausgeliefert werden, weil die Verfassung dem entgegen stehe. Der Verfassungsexperte, Pavle Nikolić, ist da jedoch anderer Meinung. Die Verfassung verbiete, jugoslawische Staatsbürger an andere Staaten auszuliefern. Das Tribunal in Haag sei jedoch kein Staat, sondern eine Institution der UNO, deren Mitglied auch Jugoslawien sei, argumentiert er.

Andere Experten wiederum gehen davon aus, dass Anklagen im eigenen Staat Vorrang hätten. Der neue Außenminister, Goran Svilanović, versprach jetzt bei seinem ersten Staatsbesuch in den USA auf jeden Fall die Zusammenarbeit mit Den Haag: „Wir werden unsere internationalen Verpflichtungen erfüllen.“ Gleichzeitig schlug er vor, dass sich Milošević in Kooperation mit dem Tribunal in Den Haag auf dem Territorium der Bundesrepublik Jugoslawien verantworten solle. Das Tribunal lehnte diesen Vorschlag ab und besteht stattdessen weiter auf einer Auslieferung von Milošević.

Außer Milošević sollen sich weitere Angeklagte in Jugoslawien befinden, vor allem General Ratko Mladić, der bei Belgrad ein Haus besitzt und oft in die Hauptstadt kommt. Auch gibt es Berichte, Radovan Karadjić wohne in Belgrad. Den Aufenthalt von Karadzic und Mladic in Jugoslawien dementierte Jugoslawiens Innenminister Zoran Zivkovic gestern aufs heftigste.

Still geworden ist es um die „drei aus Vukovar“, die Offiziere Mrksić, Radić, Sljivancanin. Sljivancanin, der in Vukovar Major war, als kroatische Gefangene ermordet worden sein sollen, dient als Oberst in der jugoslawischen Armee und lehrt an der Belgrader Offiziersakademie.

„Ich wünsche mir, Milošević in einem jugoslawischen Gefängnis“, sagt der Taxifahrer. „In Pozarevac ist ein berüchtigtes Zuchthaus. Dort würde es ihm schlimmer ergehen, als in einem Apartment in einem holländischen Gefängnis.“