(K)ein Knoten im Gemächt

■ Shinkichi Tajiri interessiert sich für Krieg, Sex und Knoten. Dass derartige Vorlieben sich nicht nachteilig auswirken müssen, zeigt jetzt eine Retrospektive des US-amerikanischen Bildhauers im Marcks-Haus

Soldaten sind Mörder. – Na, zumindest sind Zivis keine Mörder, wogegen es in der Soldatenzunft in der Tat Typen gibt, die bestenfalls ein Vakuum unterm Helm spazieren tragen. In dieser ganz speziellen Atmosphäre gedeihen ganz spezielle Gedanken. Zum Beispiel auch der, dass Menschen erschießen eine geile Sache sein kann, weshalb sich zum Gewehr auf der Schulter zuweilen ein dazu passender Ständer in der soldatischen Hose gesellt.

Shinkichi Tajiri muss es mächtig beeindruckt haben, als ihm ein Soldat gestand, er ziehe immer mit einer Erektion in die Kampfhandlungen. 56 Jahre liegt diese Episode zurück, und aus dem verwundeten Zeichner in einem Soldatenlazarett in Deutschland ist inzwischen ein international angesehener Künstler geworden. Doch noch in seinen allerjüngsten Arbeiten sind die Spuren jener soldatischen Beichte nur schwer zu übersehen. Zwölf überlebensgroße, weiße Samurais strecken sich grazil der Decke des Gerhard-Marcks-Hauses entgegen. Und wer sich den stolzen Kriegern nähert und dabei mit seinem Blick zu lange auf dem raumgreifenden Waffen- und Kopfschmuck verharrt, läuft ernstlich Gefahr, eine Etage tiefer mit dem Kopf gegen jene mächtigen Penisse zu laufen, die als Vorhut spitz und lang den raumgreifenden männlichen Machtbereich zu erweitern suchen.

Wer Shinkichi Tajiri heißt und hartnäckig das Verhältnis von Sex und Gewalt bebildhauert, kann sich nicht wundern, als Japaner geoutet zu werden, ist doch der japanischen Kultur eine gewisse Obsession für dieses Thema durchaus eigen. Doch Tajiris Lebenslauf liest sich als fortwährender Beleg dafür, dass die Dinge selten so sind, wie sie auf den ersten Blick erscheinen.

Sein Pass weißt den Sohn japanischer Einwanderer als in Los Angeles geborenen US-Amerikaner aus. Japanisch spricht Tajiri nicht, dafür aber holländisch, weil er seit Mitte der 50er Jahre in den Niederlanden lebt und außerdem 20 Jahre lang an der Berliner Hochschule für Künste eine Professur inne hatte. Im Dienste der US-Armee bekämpfte er in Italien die Nazis, zog sich eine Knieverletzung zu und traf schließlich in einem Lazarett auf jenen eregierten Kombattanten, dessen Geschichte irgendwie Berührungspunkte mit jenen Samurai-Erzählungen hatte, die er in seiner Kindheit gehört hatte.

Kurzum: Tajiris Biografie sperrt sich gegen einfache Querverweise zwischen Werk und Werdegang, auch wenn sich auffällig häufig Knieschützer in seinen Skulpturen finden, japanische Mythologie eine Rolle spielt und weder Sex- noch Kriegsmotive unterrepräsentiert sind. Weitaus mehr als diese wiederkehrenden Themen nämlich fällt in Tajiris Werk auf, dass kein Schaffensabschnitt dem anderen gleicht, ja dass selbst die Einordnung als Bildhauer einige Probleme bereitet.

Ein Gang durch die 50 Arbeitsjahre umfassende Retrospektive im Marcks-Haus lässt eher vermuten, Zeuge einer Gruppenausstellung diverser KünstlerInnen zu sein. Zwischen den frühen Metallmontagen, die Tajiri den schönen Ruf eines „Dichters des Schweißens“ einbrachten, und den seit den 1970er Jahren entstehenden anmutigen Knotenskulpturen aus Holz und Polyester liegen in jeder Hinsicht Welten. Wenn es im Werk des 77-Jährigen eine Kontinuität gibt, dann die, dass er eine bildhauerische Technik immer dann abrupt beendet hat, wenn er es in ihr zu einer gewissen handwerklichen Perfektion gebracht hat. Schon in den 60er Jahren betätigt er sich außerdem als Filmemacher, entdeckt schließlich die Fotografie für sich und lässt vom Gips bis Bronze kaum ein Material ungenutzt an sich vorüber ziehen.

Diese Vielfalt aber schlägt sich nicht immer in gleichbleibend hoher Qualität nieder. So hinterlassen die im Marcks-Haus zu sehenden Foto-Pinups mehr oder weniger unbekleideter Frauen vor allem eine gewisse Ratlosigkeit, die sich auch nicht durch Tajiris Erläuterungen über ihren komplizierten technischen Herstellungsprozess zerstreut.

Mit seinen Knotenskulpturen, von denen ein sechs Meter großes Exemplar in den kommenden Monaten auch als Wahrzeichen für die kommenden „europAsien“-Veranstaltungen in der Domshof-Passage stehen wird, knüpft Tajiri bewusst an die Tradition der primitiven Kunst an. Wer miteinander reden will, so seine optimistische Grundthese, bedinet sich am besten einfacher Symbole. So sympathisch dieser Seitenhieb auf die Konzeptkunst vergangener Tage auch ist, deren Werke ohne die Lektüre zehnseitiger Theoriepapiere nicht zu verstehen war, so sehr vermisst man den Hinweis, in welch tiefschürfenden Gespräche man sich im Angesicht von ästhetisch Verschlungenem eigentlich eigentlich verstricken kann.

Eine produktive Schaffensperiode der 60er Jahre versöhnt den Betrachter dann doch wieder mit Tajiris Arbeit. In dieser Phase schraubt Tajiri aus Flugzeugteilen, Gogomobilstoßdämpfern und Pkw-Kupplungen bizarr-hübsche Maschinen, die als Staffage für jeden Science-Fiction-B-Movie eine blendende Figur abgeben würden. Darüber hinaus ist ihnen das eigen, was anderen Arbeiten Tajiris allzu häufig fehlt: eine irritierende Vieldeutigkeit, die im Unklaren lässt, ob der Kriegsgegner Tajiri hier den Horror der Kriegsmaschinerie geißelt ober aber vielleicht doch insgeheim der Faszination erliegt, die die Welt der Technik nicht nur auf Krieger ausübt. zott

Die Ausstellung ist ab Sonntag und bis zum 22. April im Marcks-Haus zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Am Montag kommt es auf dem Marktplatz zum „Knoten-Event“, bei dem Bürgerschaftsabgeordnete unter Tajiris Anleitung aus Tauen einen großen Knoten knüpfen. Weitere Infos gibt es unter www.marcks.de oder unter Tel.: 337 86 75.