Schön gemütlich im Las-Vegas-Look

Eine Band aus talentierten Kellnern, Krankenschwestern und Musiklehrern bietet exklusives Liedgut: Lambchop aus Nashville speckte ab und gab als Kurt-Wagner-Trio einen musikalischen Abend mit neuem Material im BKA-Zelt

Nein, wie nett. Vier Meter lang ist die Bühne und gerade mal drei Meter tief, dominiert vom schwarzen Lack eines Steinway-Konzertflügels. Vor schwarzem Samt sitzt dort der Pianist Marky Nevers und tupft die Tasten. Bald spaziert auch Kurt Wagner auf die Bühne und zupft suchende Akkorde auf der Akustischen. Intim geht’s zu im eng bestuhlten BKA-Zelt mit seinem Warmluftgebläse, intim und zwanglos. Da steht, nach wenigen Minuten, ein verspäteter Besucher direkt vor der Bühne und sucht ein Eckchen, um seine speckige Lederjacke abzulegen. Vergeblich. Also klettert er ungelenk auf die Bühne, windet sich linkisch zwischen den herumstehenden Monitor-Boxen hindurch – und macht es sich dort mit seiner Slidegitarre bequem. Aha, das also ist Tony Crow und das Kurt-Wagner-Trio damit komplett.

Eigentlich ist Lambchop ein Kollektiv von acht bis zwölf Musikanten. Wenn man der Legende glaubt, dann besteht die Band aus talentierten Kellnern, Krankenschwestern oder Musiklehrern aus Nashville. Jährlich treffen sie sich, um die neuesten Ideen von Kurt Wagner umzusetzen. Folk kann das sein, Country, zuletzt Soul – und nun, mit „Is A Woman“, lupenreine Americana. Wäre es nicht schon Lambchops sechstes Studioalbum, so könnte man sagen: Musik mit der rotweinbefleckten Eleganz der Tindersticks und dem listigen Humor eines Vic Chesnutt.

Zum Kurt-Wagner-Trio gesundgeschrumpft machen Lambchop also Werbung für das Album und die offizielle Tour im Sommer – ohne fette Bläsersätze, ohne trunken schwankende Gitarrenwände, ohne Triangel. Nein, nackt treten die neuen Stücke auf die Bühne, spartanisch, wie Kurt Wagner sie schuf: Gitarre, Flügel, sonst nix.

Einzelne Töne werden angespielt, tastend, wie zufällig, unaufgeregt, bis sich irgendwann wie zufällig eine Harmonie einfindet, zu der Kurt Wagner mit seiner brüchigen Stimme wie zufällig ein Text eingefallen ist. Und kaum steht die akustische Bleistiftskizze, kommt Tony Crow mit seiner pastellenen Slidegitarre und addiert atmosphärische Störungen oder Harmonien, je nach Bedarf. Die musikalische Alchemie, aus spröden Elementen ein magisches Ganzes zu schaffen, war an diesem Abend in aller Klarheit zu bestaunen. Musik an der Grenze zum Stillstand, die sich dann doch ächzend in Bewegung setzt und einen spartanischen Groove entwickelt – hier schimmerte dann doch das letzte Lambchop-Album durch, „Nixon“, ein geschmeidiges Soul-Experiment.

„I want to thank you, you‘re so quiet“, bedankte sich Kurt Wagner und meinte es ernst: „Back where we come from people use to talk, and they do it loud“. Allerdings wurde dort, wo Lambchop herkommen, auch das Entertainment erfunden.

Aber selbst das klappte an diesem erstaunlichen Abend. Wo die Puppenstubenbühne keine Bewegungen zulässt und die Lichtregie eine dilettantische ist, dort wird die Neugier auf die Musiker selbst gelenkt – und befriedigt.

Während etwa Kurt Wagner den scherzenden Conférencier gab, mühte sich der Mann am Klavier um Stil. Saß dort im schnieken Las-Vegas-Suit und weinte gegen Ende des Abends gar bittere Tränen auf die Tasten – nicht weil‘s so schrecklich traurig war, sondern weil ihm beim Spielen der Qualm seiner coolen Kippe in die Augen stieg.

Und als wäre so viel Unbeholfenheit nicht schon sympathisch genug, erwies sich auch Tony Crow in seiner Ecke als Meister des Understatement. Saß dort im Chaos zwischen den Boxen wie im eigenenWohnzimmer und studierte, während er seinem Instrument die schillerndsten Klangflächen entlockte, gelangweilt die Beschaffenheit des Zeltdaches oder die Gesichter im Publikum.

Es gibt nicht viele Künstler, denen Liedgut von solcher Qualität nicht zu Kopf gestiegen wäre. Bei den Tindersticks bereitet überquellendes Pathos Bauchschmerzen, Nick Cave versetzt sein Publikum in alttestamentarische Messen. Schön und gut. Aber nur ein Kurt Wagner lässt sich kichernd in die Karten schauen. He just doesn’t give a fuck. Nein, wie nett.

ARNO FRANK