Wo Fleischlappen qualmen

… da sind Männer und ihre Grillzangen auch nicht weit. Früher war täglicher Fleischgenuss den Fürsten vorbehalten, doch längst kann jeder jederzeit Fleisch essen. Gerade diejenigen, die am wenigsten Grund haben, sich als Herren zu fühlen, essen Grillgut vom Tier am allerliebsten. In freier Natur, als freie Bürger

VON BURKHARD BRUNN

Ein Geruch nach verbranntem Fleisch zieht durch die Stadt. Es ist Ostwind. Und es ist ein warmer Sonntag. In den Kleingärten, am Fluss, im Park und auf den Balkons wird gegrillt. Die Männer stehen vor dem heißen Rost und wenden die Fleischlappen. Hin und wieder wischen sie sich mit dem Unterarm über die Stirn. Den Spieß (oder den Wender) legen sie kaum aus der Hand. Sie sind unermüdlich. Grillen ist Männersache.

Früher hat bei uns niemand gegrillt. Man wusste zwar, dass es Völker gab, die halbrohes Fleisch essen, aber man selber aß am Sonntag vom Braten, den die Hausfrau mit einer Mehlsoße zubereitet hatte. Fleisch gab es nur einmal in der Woche: sonntags, und das „Familienoberhaupt“ bekam die größte Scheibe. Das Fleisch war nicht „englisch“, sondern durch – und man saß auf harten Stühlen um den Tisch. Das war noch in den frühen Fünfzigerjahren so. Die Pfadfinder allerdings und andere Jugendbewegte hockten mit der Klampfe draußen ums Lagerfeuer, auf dem ein Topf mit Erbsensuppe kochte, genossen lässig hingelagert die Landluft und das Zusammensein und fühlten sich frei. Sie waren den Zwängen der Stadt entkommen, wo man „anständig angezogen“ gehen musste. Auch den Zwängen der Familie, der Fuchtel der prügelnden Patriarchen war man entflohen. Und wenn sich einmal einer der freiheitlich Gesinnten ein Würstchen briet, so war es im Wortsinne ein Extrawürstchen, nämlich die Ausnahme.

Die Engländer waren stets stolz darauf, blutiges Rindfleisch zu essen und lachten über die frogs, die französischen Froschfresser, die deutschen krauts und die italienischen Spaghettifresser. John Bull wird mit roten Backen und kräftigen Waden dargestellt. Die Männer der königlichen Palastwache heißen heute noch „Beefeaters“. Kampfstarke Männer brauchen Fleisch, denn Fleisch ist blutbildend und macht – wie manche behaupten – aggressiv. Männer, die oft rohes Fleisch essen – so behaupten Veganer –, riechen aus dem Mund wie Hunde. „Tatar“ nennen wir das Gehackte vom Rind, und man weiß, dass die Tataren besonders wild und grausam waren. (Behauptet wird, sie hätten das Fleisch unter dem Sattel weich geritten.) Der sächsische Barockfürst August der Starke hieß so, weil er mit bloßen Händen Hufeisen verbiegen und Münzen zerquetschen konnte. Er aß einen halben Ochsen allein, wird berichtet, und seiner unehelichen Kinder sind ungezählte.

Noch früher, in den unsicheren Zeiten des Mittelalters, wurde wenig Vieh gehalten. Wenn es Fleisch gab, dann nur zu bestimmten Festen. Die Herren aßen Wild, da allein sie das Jagdrecht hatten. Die Treiber bekamen die Innereien. Und das Gekröse kriegten die Hunde. Doch schließlich gehörte es auch beim aufstrebenden Bürgertum zum sozialen Status, sich Fleisch zu leisten. Im Mittelalter existierten strenge Vorschriften über das Schmucktragen der Damen und das Fleischessen der Herren: Wer heimlich und zu Unzeiten Fleisch aß, etwa am christlichen Freitag, an dem Jesus ans Kreuz geschlagen worden war, wurde streng bestraft. Wer das Fleischessen am Freitag nicht lassen konnte, ließ sich das Gehackte in Fischform servieren. Hochgestellte Geistliche hatten vom Papst eine schriftliche Erlaubnis, jederzeit Fleisch essen zu dürfen, die sie schön gerahmt in ihrem Speisezimmer aufhängten.

Heutzutage kann jeder jederzeit Fleisch essen, und gerade diejenigen, die am wenigsten Grund haben, sich als Herren zu fühlen, essen Fleisch am allerliebsten. Übrigens aßen die Herren nicht nur gern Fleisch, sondern auch möglichst fettes Fleisch. In allen Kulturen waren die Reichen fett, und ein beleibter, auf stämmigen Beinen heranwuchtender Herr mit bluthochdruckrotem Kopf galt als „stattlich“, ein Ausdruck, der Reichtum und Schönheit verbindet.

Das Grillen à la Asterix und Obelix ist eines der großen Symbole der Freiheit, der Männerfreiheit. Draußen – nicht am bürgerlichen Tisch, wo man mit Messer und Gabel und womöglich noch mit Serviette essen muss, „wie es sich gehört“ –, draußen, und wenn es nur der Kleingarten oder der Balkon ist, wendet der freie Mann sein großes Stück Fleisch mit einem archaisch groben Werkzeug. Der freie Mann ist der Herr seiner selbst.

Aber er hantiert am Grill, der oft das Aussehen einer Opferstätte hat, nicht für sich allein. Auch die andern sollen, ja müssen vom Fleisch essen, die Freunde, Kollegen, Kameraden und Genossen, auch die Familie, aber nach den derben Regeln des Grillens. Das Grillen ist ein Ritual mit der Funktion, die alle Rituale haben: eine Gemeinschaft zu bilden und zu festigen. Das gemeinsame Verspeisen von Tieren – und vor Zeiten, als Kannibalismus noch verbreitet war, auch von erschlagenen Feinden – bedeutete, dass alle, die davon gegessen hatten, nun zusammengehörten und insofern gleich waren. Alle hatten ein Stück vom starken Gegner verschlungen, und seine Stärke lebte in ihnen fort. Vor Zeiten aß man auch den eigenen Großvater, um sich seine Weisheit einzuverleiben.

Es sei hier respektvoll vermerkt, dass auch der katholische Ritus des Messopfers: das Verspeisen des „Leibes Christi“ und das Trinken von „Christi Blut“ bei der Transsubstantiation in dieser archaischen Tradition steht. Durch den heiligen Akt wird in der Gemeinde die Gemeinsamkeit von Gleichen gestiftet. Die soziale Rangordnung ist während der Zeremonie aufgehoben. Das Grillen im Kleingarten ist ein Nachklang all dieser Opferbräuche. Besonders das noch blutige Steak lässt die urige Wildheit des Mannes ahnen.

Es muss blutig sein, denn nur so erinnert es, wenn auch entfernt, an den Akt des Tötens. Denn historisch gesehen ist das Grillen die Abschlussphase einer gemeinsamen Jagd. Die Jagd war Sache der Männer, weil die Frauen meist schwanger waren. Große Tiere konnten nur gemeinsam erlegt werden, solange es keine Distanzwaffen gab. Die siegreichen Männer opferten den Göttern zum Dank feierlich die besten Teile und grillten im Geiste der Gemeinsamkeit. Den Rest schleppten sie nach Haus, zu Frau und Sippe.

Das blutige Fleisch hat die Anmutung von Wildheit und Spontaneität, die Konservierung hingegen ist eher eine langsame, bedächtige Frauensache. Man grillt kein konserviertes, sondern nur (relativ) frisches Fleisch, als sei es gerade einem Mammut vom Schenkel gerissen. So gehört das Grillen ebenso zur traditionellen Domäne des richtigen Mannes wie das Jagen. Man könnte übrigens nach der verschiedenen Körperbeschaffenheit der Geschlechter männliche und weibliche Werkzeuge unterscheiden: die einen zum Stechen und Stoßen, die anderen zum Aufbewahren. Gefäße sind weibliche Werkzeuge. Die Frauen galten selbst als Gefäße, wie man etwa an präkolumbianischen Krügen sehen kann, die manchmal (Henkel-)Arme und Brüste haben.

In Europa waren die Wilddiebe einmal Volkshelden, denn sie brachen kühn – trotz Androhung der furchtbarsten Todesstrafe – das feudale Jagdrecht, um sich ein Stück Herrenfleisch zu holen. Dies Anrecht auf Fleisch, auf das, was den Mann – angeblich – stark macht und daher männlich ist, das Fleisch, das sich einst die Herren reserviert hatten, wird beim Grillen auch heute noch insgeheim genossen – auch dann, wenn die bewusste Erinnerung an die stolzen männlichen Bedürfnisse nach Stärke, Herrschaft, Freiheit und Solidarität daran längst verblasst sein mag. „Ich muss mein Fleisch haben!“ – darin steckt Saturiertheit wie Widerborstigkeit. Und auch die Verachtung für die weichlichen „Körnerfresser“. Übrigens kann man bei Paaren, die gemeinsam kochen, die Beobachtung machen, dass das Fleischzubereiten meist Sache des Mannes bleibt.

Doch haben die deutschen Grillmänner von heute, die westdeutschen Nachfahren der angepassten Sonntagsbratenesser, die im autoritären Wilhelminismus und Nationalsozialismus wenig von individueller Freiheit wussten, die Symbolik – wie so oft nach dem Zweiten Weltkrieg – von den Amerikanern übernommen. Denn das von den USA gelieferte Symbolkonzentrat ist kaum zu übertreffen. Männerfreiheit wird durch nichts eindrücklicher versinnbildlicht als durch männliche Singles, die ihre Pferde oder Offroader unter einem Baum abstellen und in einer weiten Landschaft mit bloßen Händen blutiges Fleisch essen.

Das Grillen versinnbildlicht die Zwanglosigkeit, die „herrliche“ Freiheit des richtigen Mannes: im idealen Fall wie in Marlboro Country in weiter Landschaft, die dem kontrollierenden Blick Übersicht bis zum Horizont gewährt, einer Landschaft, in der kein Weg und kein Schild vorschreibt, wohin und wie schnell man sich zu bewegen hat: Das Land wird zu Pferde oder mit dem Offroader durchkreuzt. Unter dem gestirnten Himmel sitzt man ohne Tisch und Stuhl – nicht von Wänden eingeschlossen und nicht durch die Vorschrift eingeschränkt, das Haus durch die Tür verlassen zu müssen. Die weite Landschaft bietet sich dem freien Blick dar und muss nicht ausschnittweise durch enge Fenster betrachtet werden.

Anders als die unmännliche Sitte des Picknicks, bei der vorsorgliche Frauen in wärmenden Spezialgefäßen konservierte Speisen aus Strohkoffern hervorholen, isst man improvisiert, ohne Geschirr und Besteck und ohne Serviette: Man ist frei von der Aufsicht der Frauen, die auf Umgangsformen achten; so kann man essen, wie es in den Mund passt. Die Knochen wirft man den Hunden zu, Knorpel spuckt man in die Pampa – im idealen Fall. Denn natürlich gibt es inzwischen vielfältige Aufweichungen des Kerns (nämlich: mit Frauen, mit Kartoffeln, mit Würstchen). Auch von den Beengungen der Kleidung ist man frei: Man trägt Jeans oder bei uns, wo es keine Klapperschlangen und Stinktiere gibt, gern mal kurze Hosen.

Kratzen, ausspucken und fluchen ist erlaubt. Der hierarchische Familientisch dagegen hat eine disziplinierende Wirkung: es gibt Wörter, die „bei Tisch“ nicht in den Mund genommen werden dürfen, weil sie als unanständig gelten. Es verschlägt einem den Appetit, wenn man sie hören muss, wird behauptet. Nicht so beim Grillen. Draußen, in freier Natur, kann herzhaft, das heißt unverbildet, frei weg und ehrlich gesprochen werden. Man will keine gepflegte Konservation, in der der Patriarch den Ton angibt. Man will eher schweigen. Wenige Worte mit langen Pausen, die dann à la Hemingway umso größeres Gewicht bekommen. Nicht das Reden, das „Geschwätz“, verbindet, sondern das gemeinsame Essen; nicht das Wort, sondern die Tat. Und natürlich darf auch mit vollem Mund geredet werden, was sonst als ungehörig gilt, weil es der multifunktionalen Zunge, die ja vieles kann, am gedeckten Tisch nicht erlaubt ist, Wörter mit Fleisch zu vermischen.

Die hierarchische Festtafel wurde früher in bürgerlichen und aristokratischen Kreisen, aber auch bei den alles „Höhere“ imitierenden Bürgern „aufgehoben“, das heißt, man erhob sich auf ein Zeichen der Hausfrau gemeinsam und durfte sich dann absentieren, um zu rauchen, zu plaudern oder zu spielen. Auch das Grillen ist ein Fest. Denn normalerweise isst man nicht blutiges Fleisch, sondern, sagen wir, Jägerschnitzel mit Kartoffeln. Das Grillen ist ein Fest, obwohl es kein Menü gibt mit Aperitif, Vorspeise, Dessert und Champagner. Während Feste immer möglichst üppig sind, beschränkt sich das Grillen allerdings auf halbrohes Fleisch, also auf das Beste, und zwar nicht was die Kunst der Zubereitung, sondern was den Rohstoff betrifft. Man will kein gekochtes, gesottenes, eingelegtes, irgendwie kultiviertes, sondern man will natürliches Fleisch: Zelebriert wird Natur gegen Kultur.

Grillen ist ein Antifest, nämlich gegen das Drumrum, die Form, die Etikette. Das Essen erscheint auf das Wesentliche zurückgeführt. Grillen ist puristisch. Und man kann sich fragen: Verdammt noch mal, warum ist unser Leben denn so kompliziert? Das Grillen feiert das einfache Leben unter Kameraden, Freunden und Genossen. Das Grillen ist, wenn auch ein Ritual, im Detail entschieden formlos: Man steht auf, wann man will, etwa um sein Wasser hinter einem Baum abzuschlagen oder mit einem guten Kumpel über Männerangelegenheiten zu reden: über Waffen, Pferde, Entfernungen, Geschwindigkeiten und andere Themen, die den Mann interessieren müssen, wenn er ein richtiger sein will.

BURKHARD BRUNN, geboren 1936, lebt als freier Autor in Frankfurt am Main. Er forscht zum Thema „Der richtige Mann“.