post aus peking (2)
: Die einzige Mädchenband

An diesem Abend gibt es nur eine Alternative in der Stadt, will man nicht zu den Jungle Brothers gehen und ein Konzert sehen, wie man es überall auf der Welt sieht. Hang On The Box, die einzige aktive Pekinger Mädchenband, spielt im Loup Chante, einem kleinen Club im äußersten Nordwesten – dort, wo die Universitäten sind und nicht nur Ausländer ausgehen. Der kleine Club füllt sich nur schleppend. Alle Gäste scheinen Freunde der Band zu sein. Man sitzt noch ein bisschen auf dem Bürgersteig, genießt die Abendkühle, ein paar holen nebenan Fleischspieße für alle.

Nach ein paar Problemen mit dem Equipment geht es endlich los. Die Band verzichtet auf die Bühnenbeleuchtung. Man steht also im Hellen und starrt ins Dunkle. Macht aber nichts. Die Mädchen bewegen sich eher sparsam, und so lässt es sich besser auf die raffinierten Arrangements der Songs konzentrieren. 1998 gegründet, haben Hang On The Box schon zwei Alben veröffentlicht. Klang das erste noch sehr nach Bikini Kill und anderen Mädchenbands aus dem Westen, merkt man der Band auf dem neuen Album an, dass es ihr nicht mehr um irgendwelche Programme und ihren Exotenstatus geht, sondern um Musik. Sie haben das Prinzip Mädchen durchbrochen und einen männlichen Gitarristen engagiert. Sie spielen sorgfältig aufeinander abgestimmt: Die winzige Schlagzeugerin mit den lustigen Zöpfen hat einen präzisen Wumms, die spröde Sängerin mit ihren Springerstiefeln und Schweißbändern becirct nicht nur durch ihr asiatisch aspiriertes Englisch, sondern auch durch nöligen Sprechgesang wie Jonny Rotten, herbes Klagen wie PJ Harvey und unterkühltes Schönsingen wie Debbie Harry. Die Songs enthalten bezaubernde Melodien, es gibt tolle Themen- und Tempiwechsel, und die gesamte Show wirkt angenehm konzentriert und zurückgenommen.

Im Anschluss trifft man sich in der Sofaecke des Clubs. Nach ihren Lieblingsbands befragt, nennen die Mädchen, die alle erst Anfang zwanzig sind, nicht nur Mars Volta oder The Rapture, sie kennen sich auch genau in der Berliner Szene aus. Auf die Frage, warum das Konzert so schlecht besucht war, antwortet Shenggy, die Schlagzeugerin: „Es liegt nicht nur daran, dass wir nicht dem weiblichen Verhaltenskodex entsprechen. Chinesische Rockmusik wird hier allgemein nicht akzeptiert. Deshalb suchen wir gerade nach Labels in Europa und Amerika.“ Obwohl es in Peking seit den Achtzigerjahren immer mehr Rockbands gibt, hören junge Chinesen nach wie vor am liebsten natreensüßen Pop von der Stange aus Taiwan und Hongkong.

Wie so viele junge Musiker in Peking können sich Hang On The Box ihren bohemistischen Lebensstil nur leisten, indem sie noch bei ihren Eltern wohnen. Shenggys Vater etwa arbeitet bei einer Raumfahrtbehörde und hat sich nur auf den Berufswunsch seiner Tochter eingelassen, weil sie nebenher auch Englisch lernt. Sollte sie mit 25 Jahren noch kein Rockstar sein, werde sie anfangen, als Stadtführerin zu arbeiten, sagt sie. Bis dahin heißt es noch ein paar Jahre lang stur sein und immer weiter auftreten. SUSANNE MESSMER