„Noch gibt es die Chance für ein Linksbündnis“

Ein gemeinsames Antreten von PDS und Wahlalternative zur Bundestagswahl hängt von deren Führungsfiguren ab, meint der Soziologe Dieter Rucht. Das Bündnis wäre die Koalition gesellschaftlicher Verlierer und politisch Enttäuschter

taz: Oskar Lafontaine hat erklärt, mit der PDS gemeinsam zur Bundestagswahl antreten zu wollen, die PDS gibt sich sehr zögerlich. Glauben Sie noch an ein gemeinsames Vorgehen?

Dieter Rucht: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es noch eine Einigung zwischen der Wahlalternative und der PDS gibt. Das hängt weniger davon ab, was die Basis und die mittleren Ebenen dazu murmeln. Entscheidender sind die Spitzen der Gruppierungen. Wenn die sich einen Ruck geben, wäre es ein klares Signal an die Leute in den eigenen Organisationen, die dann wohl mitziehen würden.

Wie könnte die Einigung aussehen?

Die wahrscheinlichste gangbare Alternative ist, dass einzelne Leute der WASG und organisatorisch ungebundene Linke auf einer PDS-Liste mitgehen. Schließlich gibt es eine Asymmetrie: Die PDS hat etwa zehnmal so viele Mitglieder und einen Unterbau von Funktionären, die den Wahlkampf bestreiten könnten. Und sie hat etwas zu verlieren: ihre Identität.

Aber zusammen mit der WASG hätte sie die Chance auf eine breitere Basis.

Wie bei jeder Großorganisation gibt es auch bei der PDS immer eine Konkurrenz zwischen dem Organisationspatriotismus und den Sachzielen. Stärkt man das Sachziel – also eine dezidierte linke Politik in die Parlamente zu tragen und dem Neoliberalismus Paroli zu bieten –, schwächt man möglicherweise gleichzeitig die eigene Organisation, weil Erfolge dem Verbund zugeschrieben werden.

Wie viel Zeit bleibt für ein gemeinsames Vorgehen?

Die grundsätzliche Einigung müsste in den kommenden zwei bis drei Wochen erfolgen. Danach ist der Zug abgefahren.

Wäre die Einigung tragfähig?

Bis zur Wahl müssten PDS und WASG ihre Gemeinsamkeiten hervorheben, danach aber würden wohl inhaltliche und kulturelle Unterschiede aufbrechen. Die PDS ist machtorientiert und letztlich kompromissbereit, die WASG vermutlich eher prinzipientreu. Und natürlich schreckt viele WASGler die SED-Vorgeschichte der PDS ab.

Die Rivalitäten zeigen sich schon jetzt. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau bezeichnete die WASG als „Kampfclub gegen die PDS“.

Sie hat zudem der WASG vorgeworfen, sie sei eine männlich geprägte Rentnerpartei, der es an innovativer Kraft fehle. Das trifft ironischerweise genau auf die Basis der PDS zu. Allerdings gilt für die PDS: Der Unterschied zwischen Basis und fortschrittlicherer Führung ist groß.

Wie würden Sie die potenziellen Wähler eines Linksbündnisses beschreiben?

Es ist eine Koalition der gesellschaftlichen Verlierer und der politisch Enttäuschten. Den einen steckt vor allem Hartz IV in den Knochen, die anderen suchen eine politische Alternative. Neben den PDS-Stammwählern sind das die enttäuschten linken Grünen und SPD-Linken. Aber es gibt auch hoffende Linke, die keiner Partei nahe stehen. Sie dachten alle bis vor kurzem, es gehe nun vom Regen in die Traufe – von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb. Mit dem Linksbündnis könnten sie jetzt etwas anderes wählen.

Aber an einer schwarz-gelben Regierung wird das wohl nichts änder?

Nein. Aber, wenn das Linksbündnis in den Bundestag kommt, wird es eine starke innerparlamentarische Opposition geben. Zudem wird durch eine Abwahl von der SPD auch die außerparlamentarische Opposition gestärkt. Beispielsweise brauchen dann die Gewerkschaften nicht mehr wie jetzt Rücksicht auf die Regierung zu nehmen. Und auch der linke Flügel der SPD bekäme Oberwasser.

Bisher besteht das Linksbündnis aus einer Antihaltung – gegen die Hartz-IV-SPD und gegen das Szenario der schwarzen Republik. Reicht das?

Ihre Aussage stimmt in der Tendenz. Aber die neue soziale Frage ist das Großthema der nächsten Jahre. Diese Frage müsste ein Linksbündnis positiv wenden, also Alternativen zu einer neoliberalen Politik aufzeigen und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen.

In Nordrhein-Westfalen haben 40.000 Grüne zur CDU gewechselt, weil sie ihr mehr Kompetenz beim Thema Arbeitsmarktpolitik zutrauen. Wie kann dann erst ein Linksbündnis überzeugen?

Das waren vermutlich auch grüne Besserverdiener, die sich vor allem Vorteile für ihren Geldbeutel erhoffen. Das Linksbündnis kann natürlich seine Kompetenz im Vorfeld nicht beweisen. Das ist wie beim Aktienmarkt: Es geht um Erwartungen für die Zukunft. Fest steht, dass die SPD die Probleme mit ihrem neoliberalen Kurs nicht gelöst hat. Die Union wird diesen Kurs verschärfen. Für die Grünen ist die soziale Frage kein Stammthema. Die PDS hat allenfalls auf der lokalen Ebene Erfolge. So gesehen könnten sich Linke von einem Bündnis etwas erhoffen.

INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER