die taz vor 7 Jahren über das erste rot-grüne projekt: den atomausstieg
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Man kann es so sehen. Gerhard Schröder müßte im Herbst Kanzler werden, es 30 Jahre bleiben und das gesegnete Alter von 84 Jahren erreichen, wenn er seinen eigenen „schnellstmöglichen“ Ausstieg aus der Atomenergie im Amt erleben möchte. Das lieben wir ja so an dem Kandidaten und seiner Partei: Dynamik, Klarheit, Optimismus.

Aber im Ernst: Die Aufmerksamkeit, die Schröder für die bis gestern Nachmittag weder mündlich noch schriftlich fixierte mutmaßliche Ausstiegsstrategie erntet, spiegelt die ungeheure Erleichterung einer nach Unterscheidbarkeit der politischen Alternativen lechzenden Öffentlichkeit. Endlich fällt ein Stein in die träge großkoalitionäre Einheitsbrühe und mischt sie ordentlich auf. Zu Recht. Denn nach einem Vierteljahrhundert verbindet sich die deutsche Ausstiegsdebatte nun endlich und erstmals mit einer realen Macht- und Erfolgsperspektive. Wenn es ein Reformprojekt gibt, das sich eines eindeutigen Wählerauftrags gewiß sein kann, dann sind das der Atomausstieg und die Errichtung eines neuen, umweltgerechten Energiesystems.

Die freudige Erregung, mit der die bündnisgrünen Sofortaussteiger jetzt auf einen Fahrplan anspringen, der die Schließung des letzten Meilers für das Jahr 2028 anvisiert, überrascht nur auf den ersten Blick. Zu oft haben sich die Ökos zuletzt die Frage gefallen lassen müssen, warum um Gottes willen sie an einer Koalitionsperspektive festhalten, in der der Wunschpartner reaktionären Populismus mit Politik verwechselt. Nun wissen sie es wieder.

Ihr Thema rückt auf der Sommerloch-Agenda nach oben. Wähler und Wählerin können sicher sein, wenn sie die Signale im Herbst auf Rot-Grün stellen, ist der Atomausstieg Regierungspolitik. Aber nur dann. Die amtierende Koalition reagiert gewohnt hilflos. Ein Pro-Atom-Wahlkampf wäre politischer Selbstmord. Angela Merkel erklärt allen Ernstes, der Ausstieg erhöhe das Katastrophenrisiko.

Gerd Rosenkranz, taz, 4. 8. 1998