I N T E R V I E W „Im Rahmen der Realität“

■ Der Regisseur Hector Olivera über seinen neuesten Film

taz: Zweieinhalb Jahre nach dem Ende der Diktatur hat mit der Premiere von „La Noche de los Lapices“ der erste argentinische Film das Thema der Verschwundenen dargestellt. Wieso erst jetzt? Hector Olivera: Ja, es hat lange gedauert. Um von mir auszugehen: Ich gehöre zu den Regisseuren, die in Argentinien weitergearbeitet haben. Als ich auf Reisen im Ausland, auch in Deutschland, von exilierten Kollegen von Konzentrationslagern in Argentinien hörte, hielt ich das für Übertreibung und konnte es nicht glauben. Später zögerten wir dann, weil wir von den Filmemachern einen Film erwarteten, die sich besonders für die Menschenrechte eingesetzt haben. Ich bin nie eingesperrt worden und fühlte mich zunächst nicht als die richtige Person für diesen Film. Warum haben Sie diesen Film dann doch gedreht? Der Bericht von Pablo Diaz während des Prozesses gegen die Generäle hat mich sehr bewegt. Ich hatte verschiedene Projekte im Kopf, aber dieser Stoff ist mir immer wieder gekommen, bis wir im Juni den Film gedreht haben. Es war so etwas wie moralische, ja auch professionelle Verpflichtung, denn ich glaube, daß wir argentinischen Regisseure in der Schuld gegenüber unserem Publikum standen, so einen Film zu drehen. Warum wählten Sie gerade diesen Film? Klar, es gibt Stoff für 500 Filme. Dieser Fall erschien mir jedoch beispielhaft für den Terror, da es sich hier um unschuldige Jugendliche von 17 Jahren handelt, gegen die solche Verbrechen aber auch in keinster Weise zu legitimieren sind. Der Film ist nicht so brutal, nicht so blutig wie die Realität. Das erste Drehbuch, das Daniel Kon und ich schrieben, war näher an der Wirklichkeit, wie Pablo Diaz sie beschrieben hat. Freunden, denen wir es zu lesen gaben - auch Angehörigen der Verschwundenen - baten uns, die brutalsten Szenen, z.B. das Herausreißen eines Zehennagels, zu streichen. Wir wollen, daß nicht die Hälfte des Publikums während der Vorstellung den Saal verläßt, weil sie die Brutalität nicht aushält. Der Film verfährt in weiten Teilen fast dokumentarisch. Warum? Durch die Fundierung auf einer Zeugenaussage erhält er einen viel größeren Wahrheits– und Realitätscharakter als ein reiner Spielfilm. Er wird zu einem Dokument. Der Film muß die realen Dokumente in das künstlerische Konzept integrieren, um das Wesentliche darzustellen. Dabei ist eine Verdichtung durch Fiktion notwendig; wir haben z.B. aus den Entführten, die in Wirklichkeit an verschiedenen Schulen waren, eine Freundesgruppe gemacht und Charakteristika untereinander vertauscht, aber alles im Rahmen der Realität. Das Gespräch führte Dirk Bruns.