Iran - Türkei - Griechenland - Endstation

■ Bis zu 3.000 Dollar kostet die Flucht durchs kurdische Gebirge / Die türkisch–griechische Grenze wird zu Fuß überquert / Anlaufstelle in Athen ist die US–Botschaft

Aus Athen Georg Schwarz

Was hast du bisher im Iran gemacht?“ „Ich hatte gerade die Reifeprüfung erfolgreich abgeschlossen und wollte studieren. Ich will studieren. Das ging leider nicht.“ „Warum nicht?“ „Sie haben es nicht zugelassen.“ „Warum?“ Pause. Im dunklen Restaurant eines zentral gelegenen Athener Hotels konnte der 20 jährige iranische Flüchtling Hussein A. nicht verstehen, daß er die Gründe seiner Flucht erklären soll. Neben unserem Tisch spielen zwei Kinder auf dem nackten Boden, Frauen sehen fern, ein Vater versucht, seine einjährige schreiende Tochter zu beruhigen. Sie gehören zu einer Gruppe von 36 Iranern, sieben Kindern, acht Frauen und 21 Männern, die vor wenigen Wochen aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Am 11. Oktober sind sie in Griechenland angekommen. Im Gegensatz zu vielen anderen politischen Flüchtlingen hat diese Gruppe sofort Asyl bekommen und wurde nicht - wie sonst üblich - im Flüchtlingslager von Lavrion, einer etwa 50 km südöstlich von Athen gelegenen Hafenstadt, eingeschlossen. Seit ihrer Ankunft wohnen sie in zwei einfachen Hotels im Zentrum der Stadt. „Bitte den Namen des Hotels nicht veröffentlichen“ forderten sie alle im Restaurant. Hussein faßt noch einmal zusammen, was er schon den griechischen Grenzsoldaten, den Polizisten und auch der Presse mehrmals erklärt hat. „Für die Zulassung zu den Universitäten unseres Landes werden heute zuallererst Zeugnisse von Heldentaten an der Front gefordert. Wir sind gezwungen, am Krieg teilzunehmen. Nicht nur das. Wenn man das Glück hat, heil von der Front zurückzukehren, dann braucht man Beweise für die Mitgliedschaft in einer regime–treuen Organisation. Ich wollte aber nicht politisieren. Ich will nur studieren, verstehst du?“ Den Krieg, die aussichtslose Lage auf dem Arbeitsmarkt und die rigorose Einschränkung der Bewegungsfreiheit geben die Flüchtlinge als Hauptgründe dafür an, daß sie den Iran verlassen haben. Von oppositioneller politischer Aktivität ist nicht die Rede. Vor zwei Monaten beschloß Hussein seine Flucht ins Ausland und erzählte seinem engsten Freund davon. Der Freund organisierte für ihn ein Treffen mit einem Unbekannten. „Er war iranischer Kurde türkischer Abstammung. Für 2.500 US–Dollar garantierte er mir die sichere Ankunft in Griechenland.“ „Hast du es ihm sofort geglaubt?“ „Ja, er war nämlich ein Bekannter meines Freundes und hatte auch früher anderen Kollegen zur Flucht verholfen.“ 2.500 bis 3.000 US–Dollar pro Kopf ist der Preis, den gutorganisierte Schieberringe für ihre Hilfe fordern. Mit dem kurdischen Führer gelang Hussein über enge Pfade durch das kurdische Gebirge die Flucht in die Türkei. Dort übernachtete er in einem kleinen Grenzdorf „im Haus eines Freundes“, erreichte am folgenden Tag die Stadt Van und reiste von dort aus mit dem Bus weiter nach Istanbul. Dann übernahm ein zweiter Mann, diesmal ein Türke, seine Betreuung. Am 11. Oktober wurde Hussein mit 35 anderen Iranern in zwei Minibusse verfrachtet und zu „einer Stadt nahe der griechischen Grenze“ (wahrscheinlich Edirne) transportiert. „Der Weg bis zum Grenzfluß Evros zu Fuß dauerte fünf bis sechs Stunden. Dort wartete ein Boot und brachte die Gruppe ans griechische Ufer. Sie wurden von den griechischen Grenzsoldaten nicht bemerkt. Fünf Tage lang wanderten sie ziellos durch das Gebiet, dann stellten sie sich dem Grenzposten. Dort wurden sie nochmals sieben Tage lang aufgehalten, bevor sie mit dem Bus nach Athen weiterreisen durften. Hussein weigerte sich, Einzelheiten über seinen Aufenthalt an der Grenze zu erzählen. Stimmt es, daß dort geschossen wurde? Wie sind die griechischen Grenzpolizisten mit ihnen umgegangen? Schweigen. Noch immer haben die Flüchtlinge Angst. Verbit der US–Botschaft in Athen, denn alle wollen ausnahmslos in die USA. „Wir haben Familienmitglieder in den USA“, sagt einer von ihnen. Die US–Botschaft hat sie jedoch bisher nicht aktzeptiert. In der Zwischenzeit erhalten sie von der griechischen Regierung täglich pro Person gerade 400,– Drachmen (5,90 DM). Nicht einmal genug, um ein vollständiges Essen zu bezahlen.