Kein Schlußstrich per Dekret

■ Der Argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Esquivel zur Aufarbeitung der Militärdiktatur unter der Regierung Alfonsin / „Versprechen nicht gehalten“

taz: Im Ausland wird die Menschenrechtspolitik der Regierung Alfonsin gelobt und prämiert. Wie schätzen Sie sie ein? Esquivel: Ich halte sie für sehr schlecht. Die Radikalen (UCR, Pa Senat, d. Red.) zusammensetzt, um das Problem der 30.000 Verschwundenen zu untersuchen, sondern die relativ rechtlose CONADEP, an der ich mich geweigert habe mitzuarbeiten. Diese Kommission hat zwar als Empfangstisch von Informationen recht gute Arbeit geleistet, um die Regierung zu informieren. Aber sie hatte nicht das Recht, selbst Untersuchungen durchzuführen. Eine andere Sache sind die Prozesse, die die Regierung allesamt der Militärgerichtsbarkeit übergeben hat, mit der Idee, daß die Militärs sich selbst verurteilen sollen. Ich habe nicht an diese Prozesse geglaubt und leider habe ich recht behalten, denn in den vergangenen drei Jahren hat es in dieser Frage bisher keinen Militärprozeß mit einer Verurteilung gegeben. Unter dem nationalen und internationalen Druck mußte dann der Prozeß gegen die drei ersten Militärjunten an das zivile Bundesgericht übergeben werden, das sich dann jedoch an die Militärgesetze halten mußte. So wurden die Exkommandanten individuell unterschiedlich verurteilt und nicht politisch, kollektiv, gemäß ihrer Verantwortung als Junta. Vor allem will die Regierung nicht an die innere Struktur der Armee rühren, deswegen die Betonung auf Gehorsamspflicht durch die Regierung, die drei Ebenen unterscheidet: die Befehlsgeber, die, die die Befehle ausführten und die, die Exzesse begingen. In Wirklichkeit war das Ganze ein Exzess: Die konstitutionelle Regierung zu stürzen, Teile des Volkes zu ermorden und eine Diktatur zu etablieren. Dafür trägt die ganze Armee die kollektive Verantwortung. In Argentinien gibt es bis jetzt noch zwölf politische Gefangene aus der Militärdiktatur. Erst jetzt scheinen sich die Parteien auf ein Projekt zu einigen, die Prozesse überprüfen zu lassen. Diese Gefangenen sind während der Diktatur verurteilt worden, wobei die prozessualen Rechte ständig verletzt wurden. Es gab keine richtige Verteidigung, Geständnisse wurden unter psychischem Druck und Folter erpreßt usw. Weder die Regierung noch die Opposition war in der Lage, darüber eine Entscheidung zu fällen, weil sie ein Gleichgewicht der Dämonen - hier Prozeß gegen die Militärs, da politische Gefangene - suchten. Jetzt planen sie die Beendigung der Prozesse gegen die Militärs, da ist dann auch die Überprüfung der politischen Gefangenen möglich. Unsere Position ist, daß man die Unmenschlichkeit und die Illegalität der Prozesse anerkennt. Es muß eine Revision der Prozesse mit gerechter Verteidigung durchgeführt werden. Diese Garantie muß immer gewährleistet sein - auch für die Militärs. Die Regierung will in den nächsten Wochen ein Schlußpunktgesetz durchbringen, das von den reaktionären Teilen des Peronismus unterstützt wird. Wie ist Ihre Position dazu? Für uns ist der einzige Schlußpunkt die Gerechtigkeit. Die Regierung hat Absprachen mit den Militärs getroffen und will dieses traurige Kapitel schnell abschließen. Die kriminelle militärische Okkupation gegen das eigene Volk darf nicht durch ein Dekret legitimiert werden. Wir werden dagegen Widerstand leisten. Dies ist ein Betrug an den eigenen Wahlversprechen, am argentinischen Volk und am ganzen lateinamerikanischen Kontinent, wo es mehr als 100.000 Verschwundene gibt. Die Methode der argentinischen Militärs wurde von anderen lateinamerikanischen Ländern - in Bolivien, Chile, Peru, Guatemala, El Salvador, Honduras und dem Nicaragua von Somoza - angewandt. Weil alle Welt herschaut, wird in Argentinien viel entschieden. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein? Wenn man die Zukunft verstehen will, braucht man nur die Gegenwart zu lesen. Man muß die gegenwärtige schwankende Politik genau analysieren, dann erkennt man, daß die Folgen schlimm sein werden. Vor allem, wenn man den Fall Argentinien nicht isoliert betrachtet. In den siebziger Jahren war fast ganz Lateinamerika von Generälen beherrscht. Das war jedoch kein Spleen von vier bis fünf verrückten Generälen, sondern Ausdruck eines Projektes, Lateinamerika zu beherrschen und zu unterdrücken. Ich sehe die Menschenrechte immer in Verbindung mit den Auslandsschulden. Ausbeutung, Elend und die Unterdrückung demokratischer Prozesse sind abhängig von den Auslandsschulden. Demokratie existiert für mich nicht abstrakt oder allein durch die Stimmabgabe an der Urne, sondern durch die Beteiligung des Volkes. Jetzt wird von der Regierung Alfonsin mit dem Schlußpunktgesetz das Existenzrecht des Volkes aufs Spiel gesetzt, in dem das politische Verbrechen legitimiert wird. Wir haben die Demokratie verteidigt und für sie gekämpft - mehr als viele Abgeordnete, die sich mit der Diktatur arrangierten - aber nicht in dieser Form und nicht mit diesen Kosten. Denn was wird passieren, wenn die Militärs aus der mittleren Hierarchie, die die Menschenrechte verletzt haben, in ein, zwei Jahren in die Generalität aufsteigen und die Armee in ihren Händen haben ? Welche Garantien gibt es dann noch für den demokratischen Prozeß? Das Gespräch führten Juan Garff und Dirk Bruns