Argentiniens Großmütter und Gentechnologie

■ Die „Mütter der Plaza de Mayo“ resignieren nicht - trotz Demoralisierung durch die argentinische Regierung / Auch die Großmütter forschen nach Hunderten verschwundener Kinder / 39 Kinder bei Militärs ausfindig gemacht

Aus Buenos Aires Dirk Bruns

„Lebend habt ihr sie uns genommen - lebend wollen wir sie zurück“: Auch drei Jahre nach dem Ende der argentinischen Militärdiktatur wollen die „Mütter der Plaza de Mayo“ auf ihre Forderung nach Aufklärung des Schicksals ihrer „verschwundenen“ Töchter und Söhne und nach Bestrafung aller Schuldigen nicht verzichten. 24 Stunden zogen sie vorgestern durch die Straßen von Buenos Aires, gut erkennbar an ihren weißen Kopftüchern und von Tausenden begleitet. Dieser sechste Widerstandsmarsch, so hob Hebe de Bonafini, Präsidentin der „Mütter“, die seit zehn Jahren jeden Donnerstag um 15.30 Uhr auf der Plaza de Mayo demonstrieren, auf der Abschlußkundgebung hervor, sei „eine Antwort auf die Politik der Demoralisierung und Demobilisierung, wie sie die Regierung Alfonsin betreibt.“ Zum umstrittenen Plan der Regierung, mit einem Gesetz den Prozessen gegen die Militärs ein Ende zu setzen, meinte sie: „Das ist alles schon längst zwischen Alfonsin, den Militärs und der US–Regierung ausgemauschelt.“ An der Demonstration beteiligten sich auch Mütter aus Paraguay, Uruguay und Chile, die sich nach dem Vorbild der „Madres de la Plaza de Mayo“ ebenfalls organisiert haben - und auch die „Abuelas (Großmütter) de la Plaza de Mayo“. Bereits im Oktober 1977, sechs Monate nach den „Müttern“, fingen zwölf „Abuelas“ an, nach ih ren Enkeln zu suchen. Ihr Hauptsitz befindet sich in Buenos Aires, im 7. Stock eines Hochhauses der Straße Montevideo 459, dessen Kauf durch die Spenden vor allem von deutschen und österreichischen Paten (organisiert von amnesty international) möglich war. Von 205 Kindern haben die „Abuelas“ Fotos und Daten gesammelt und in Broschüren veröffentlicht. Sie gehen von 400 verschwundenen Kinder aus, der argentinische Friedensnobelpreisträger Perez Esquivel spricht sogar von 800 Kindern, da von den Tausenden von entführten Frauen viele schwanger gewesen seien. Maria Chorobik de Marinai, Präsidentin der „Abuelas“, schildert ihren eigenen Fall, über den sie beim Prozeß gegen General Ramon Camps, der am Dienstag zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, als Zeugin ausgesagt hat. „Am 24. November mittags haben bewaffnete Militärs das Haus meines Sohnes und meiner Schwiegertochter überfallen und alle Erwachsenen getötet außer meinem Sohn, der nicht zu Hause war. Er wurde sechs Monate später umgebracht. Camps selber hat meine drei Monate alte Enkelin ins Auto genommen, was von einigen Zeugen beobachtet wurde. Während des Prozesses behauptete er, er habe das tote Kind nur vor den Augen der Journalisten schützen wollen. Damit will er nur die Suche nach den verschwundenen Kindern beenden, die sich zum größten Teil in den Händen von Militärs, Polizisten oder ihren Komplizen befinden. „Mitter weile bauen die „Großmütter“ mit der Unterstützung eines Krankenhauses eine Bank der genetischen Daten der Großeltern und Verwandten auf, um die wiederaufgefundenen Kinder den richtigen Eltern zuordnen zu können. Oft wur den die Kinder ja schon als Säuglinge von ihren inhaftierten Müttern getrennt. Der Erfolg spricht für die Arbeit der „Abuelas“: 39 Kinder haben sie bisher ausfindig gemacht. „Die zurückgebrachten Kinder haben viel durchgemacht, traumatische Erlebnisse in Konzentrationslagern und die Trennung von ihren Eltern.“ Das Ziel der „Abuelas“ ist es, den entführten Kindern, die unter einer Lüge aufwachsen, ihren Namen, ihre Familie, ihre Geschichte und ihre Identität wiederzugeben. „Aber“, differenziert Estela Carlotto, Vizepräsidentin der „Großmütter“, „jeder Fall ist unterschiedlich. Elf der 39 Kinder waren bei einfachen, guten Menschen, die keine Komplizen der Repression waren, sondern z.T. selbst deren Opfer und unter Drohung dazu gebracht wurden, die Kinder aufzunehmen. Als wir diese Kinder fanden, erfuhren sie die Wahrheit, und erhielten ihren wirklichen Namen. Aber die legitimen Familien entschieden in diesen elf Fällen, daß die Kinder bei ihren Pflegefamilien blieben und es entstand aus der alten und der neuen Familie eine große gemeinsame Familie.“ Angesichts der z.T. äußerst schlechten materiellen Situation vieler Großmütter oder Verwandter und der Kinder von Entführten werden dringend Patenschaften für diese Kinder gesucht, die von der Gruppe „Argentinienhilfe“ organisiert wird. Gedacht ist an eine monatliche Unterstützung von 50,00 DM, wobei es natürlich auch möglich ist, sich eine Patenschaft zu teilen. Kontaktadresse ist: Brigitte Schirovsky, Binsenweiherweg 7, 7900 Ulm, Tel. 07 31/4 64 23 oder Abuelas de Plaza de Mayo, Montevideo 459, Piso 7, „B“, 1019 Capital Federal, Rep. Arg.