Japan kauft Silicon Valley

■ Halbleitermarkt zwischen USA und Japan heiß umkämpft / Vorwurf der US–Hersteller: Japaner operieren mit Dumping–Preisen / Aufkauf von Traditionsfirma löst Schock aus / US–Regierungspolitik soll heimische Hersteller massiv unterstützen

Von Raul Rojas

Nur schlechte Nachrichten für die amerikanische Halbleiterindustrie sind in diesen Tagen aus Silicon Valley zu hören. Nach fast zwei Jahren ununterbrochener Krise, brachte auch das Jahr 1986 nicht den erwarteten Aufschwung. Viele Firmen kämpften schon heute ums nackte Überleben und die Prognosen zum kommenden Jahr sind nicht besonders günstig. Für die amerikanischen Firmen steht fest, wer schuldig ist an der ganzen Misere: Erzfeind Japan habe die Preise der früher wertvollen Chips zu weit nach unten gedrückt, was nicht etwa ein normaler Prozeß unter Wettbewerbsbedingungen sei, sondern eine ganz unsaubere Methode zum eigenen Nutzen. Die Japaner hätten dies gemacht, um die amerikanische Konkurrenz auszuschalten und den Grundstein für ihre zukünftige Herrschaft auf dem Halbmarkt zu legen. Japan - so die US– Firmen - verkaufe Chips zu „Dumping“–Preisen, also weit unter den realen Herstellungskosten. Die Auswirkungen der heutigen Krise sind unübersehbar: letztes Jahr gingen 50.000 Arbeitsplätze in der amerikanischen Elektronikindustrie verloren, viele kleine Firmen mußten den Konkurs anmelden und viele andere wurden von größeren übernommen. Und noch schlimmer: bis 1985 waren die ersten Plätze auf dem Halbleitermarkt immer fest in der Hand amerikanischer Multis, jetzt hat sich das dramatisch verändert: Seit 1986 tragen die drei größten Chip–Produzenten japanische Namen. NEC, Hitachi und Toshiba haben schon einen größeren Umsatz als Intel oder Motorola. Im letzten November dann kam eine Nachricht, die insbesondere in Kalifornien wie eine Bombe einschlug: Fujitsu Ltd. kaufte die kalifornische Firma Fairchild Semiconductor Corp. für 225 Mio. Dollar, d.h. weniger als die Hälfte des jährlichen Umsatzes von Fairchild. Die kalifornischen Unternehmer waren schockiert. Fairchild war schließlich eine der Gründerfirmen in Silicon Valley und Großmutter aller anderen. Auf ihr Konto geht immerhin die Entwicklung der integrierten Schaltung (also des modernen Chip) und viele andere Erfindun gen, die das mikroelektronische Zeitalter erst möglich machten. Und dann kommen 1986 diese Japaner und kaufen die „Grand Old Lady“ von Silicon Valley, als diese sich gerade einmal in Schwierigkeiten befindet! Für einen Ingenieur aus Kalifornien ist das sicher so unvorstellbar wie für einen New Yorker der Verkauf der „NY–Yankees“, seinem Lieblingsteam in der American Baseball League, an die Russen gewesen wäre. Kein Wunder, daß drei Ministerien sofort Widerspruch gegen die geplante Übernahme von Fairchild anmeldeten. Fujitsu wird sich mit dem Verteidigungs–, Finanz– und Handelsministerium ar rangieren müssen bevor die Transaktion perfekt ist. Kein Wort darüber, daß Fairchild längst, nämlich schon vor sieben Jahren von einem französischen Konsortium übernommen worden war und daß die Japaner Fairchild jetzt den Franzosen abkauften. Das wirft ein bißchen mehr Licht in die Affäre. Der Aufschrei gegen den Fairchild–Kauf ist zugleich eine neue Kampfansage gegen die Japaner, die schlimmer als alle anderen sind, die wiederwärtigeren, weil besseren Kapitalisten. Die kalifornischen Unternehmer sind felsenfest davon überzeugt, daß die Japaner ihre Chips unter den Herstellungskosten verkaufen und klagten deswegen vor einem Jahr gegen die japanischen Firmen. Der Grundvorwurf: Japan würde die Speicherchips für die modernen Datenverarbeitungsanlagen, die sogenannten DRAM–Chips, zu Dumping–Preisen anbieten. Als die amerikanischen Firmen mit einem Stückpreis von 15 Dollar rechneten, bot die japanische Konkurrenz dieselben Chips für weniger als 4 Dollar das Stück an. Eine nach der anderen legten die US–Firmen ihre DRAM–Produktionsanlagen still und begannen sogar - wie dies bei Motorola der Fall ist - die japanischen Produkte zu vertreiben. Die Kläger behaupteten Anfang dieses Jahres, daß die Japaner diese Art von unfairer Konkurrenz nur durchhalten könnten, weil sie große integrierte Konglomerate sind, die also nicht nur Chips oder Computer produzieren. Für die Reagan–Regierung war aber klar, daß der Prozeß gegen die japanischen Firmen nicht ausreichte, um die eigene Industrie effektiv zu schützen. Sie verlangte von Japan die Schließung eines Abkommens, das einen weiteren Verfall der Chip–Preise verhindern sollte. Den ganzen Sommer über wurde zäh verhandelt. Eine Frist wurde gesetzt und falls bis dahin keine Einigung erreicht wäre, wollte Reagan einseitige Maßnahmen treffen, z.B. größere Zollsätze für japanische Chips verhängen. In der letzten Minute wurde schließlich im September ein fünfjähriges Abkommen unterschrieben. Die Japaner verpflichteten sich darin, Mindestpreise zu respektieren und den amerikanischen Firmen den japanischen Markt zu öffnen. Das Resultat war vorauszusehen: in Kalifornien stiegen die Chip–Preise sprunghaft und jetzt waren es die Computerhersteller, die sich verprellt fühlten. Für sie wurden die wichtigsten Komponenten ihres Produkts teurer, während in Südostasien die Chip– Preise weiter gefallen sind. 60 amerikanische Elektronikfirmen entschieden sich deshalb das Abkommen anzufechten und andere, wie Compaq, der größte Produzent von IBM–kompatiblen Rechnern, erklärten sogar schlicht und einfach, daß sie die Produktion nach Südostasien verlagern wollten. Aber auch die Halbleiterfirmen sind mit der Regelung nicht besonders glücklich: sie verlangen von den Japanern nämlich, daß sie die Mindestpreise auch in Drittländern einhalten. Zuletzt meldete sich zum Jahresende auch noch das amerikanische Verteidigungsministerium zu Wort. Eine „Task Force“ des Ministeriums verlangte eine Subvention von 1,6 Mrd. Dollar für die Halbleiterfirmen und das Starten einer „Defense Semiconductor Initiative“ beziehungsvoll „DSI“ abgekürzt. Ein „Halbleiter–Nationalrat“ sollte Forschung und Entwicklung in diesem Gebiet koordinieren und zum Teil das japanische Modell kopieren. Es wird auch laut an eine Reform der Antitrustgesetze gedacht, so daß Firmen wie IBM oder AT&T ihr ganzes Gewicht in den Kampf gegen die Japaner werfen könnte. Falls DSI nicht gestartet wird, soll die Zukunft in der Tat düster aussehen. 1985 soll nur noch eine einzige US–Firma, dafür aber sieben japanische und eine koreanische unter den zehn größten Halbleiterproduzenten der Welt zu finden sein.