Anschlag auf verseuchten Molke–Zug

■ Bayerischer Landwirtschaftsminister wußte von Transport / Umweltminister Wallmann schaltet sich ein

Köln/Berlin (taz) -Der in Köln abgestellte „Molke“–Zug wurde am Samstag von AKW–Gegnern inspiziert. Die Hälfte der 50 mit radioaktiven Niederschlag aus Tschernobyl verseuchter Molke gefüllten Waggons fand die von Anwohnern alarmierte Polizei aufgebrochen. 40 Säcke, so der Kölner Polizeipressesprecher Selt, sind teilweise rausgeworfen oder aufgeschlitzt worden. 14 Leute wurden beim Besprühen der Waggons mit „Nuklearwarnteilchen“ überrascht und zur Personalienfeststellung vorübergehend festgenommen. Wie ein Sprecher der Verkehrsbetriebe, auf deren Gelände der Zug steht, mitteilte, hat die Feuerwehr die zum Teil mit Schnee vermischte Molke zusammengekehrt. Über einen Teil der Säcke soll Öl gegossen worden sein. Im Bremen bleiben die zuständigen Senatsdirektoren weiter mit ihren 100 in der Hansestadt gestoppten Waggons beschäftigt. Glücklicher Besitzer ist die Lindener Speditionsfirma „Lopex Export GmbH“. Die Firma steht nicht im Fernsprechbuch. Das Telefon des Geschäftsführers Rolf Sprang ist auf den Namen seiner Frau eingetragen. Er führt die Geschäfte vom Wohnzimmer aus. Am Montag versprach Bundesumweltminister Wallmann alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen, um über den weiteren Verbleib des radioaktiv verstrahlten Molkepulvers zu beraten. Für das Umweltministerium bleibt die Molke „Wirtschaftsgut“, so Umweltsprecher Diehl. Untergemischt könne die Molke als Viehfutter verwendet werden. Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth (CDU) forderte „rückhaltlose Aufklärung“ über die Molkegeschäfte. Das strahlenbelastete Molkepulver dürfe nicht in die Länder der Dritten Welt exportiert werden, weder als Nahrungs– noch als Futtermittel. Das wäre „ethisch“ nicht vertretbar. Wer die Molke exportiere, handle verantwortungslos und moralisch verwerflich. Die Botschafter Ägyptens in Bonn, - das Land am Nil wurde als Importeur der Molke gehandelt - erklärte, von den Behörden seines Landes habe es keinerlei Genehmigung für die Einfuhr derart verseuchter Produkte gegeben. Das Milchwerk Meggele in Wasserburg im Landkreis Rosenheim, bei dem die verseuchte Molke angefallen war, fühlt sich von den bayerischen Behörden im Stich gelassen. Nach der Atomkatastrophe hatte sich das Werk nach Auskunft eines Sprechers am Montag auf Drängen des Landwirtschaftsminsters bereiterklärt, größere Mengen flüssiger Molke, die bei der Käseherstellung anfällt, zur Trocknung anzunehmen. Auf Grund der hohen Jodbelastung konnte die Milch nicht zu Frischprodukten wie Jogurt oder Quark verarbeitet werden. Daher wurde die Käseproduktion verstärkt, bei der die Molke anfällt. Landwirtschaftsminister Hans Eisenmann hatte den Molkereien versichert: „Wir lassen sie nicht im Regen stehen“, erinnert man sich verbittert. „Doch genau dort stehen wir jetzt“, erklärt der Meggele–Sprecher Dr. Nemitz. Der jetzige Verkauf der Molke sei in enger Zusammenarbeit mit dem Umwelt– und dem Landwirtschaftsministerium in München erfolgt. Als ein Stück aus dem „Tollhaus“ bezeichnete der nordrhein–westfälische Umweltminister Matthiesen die „Nacht– und Nebelaktion“ der Bayern. Derzeit stehen noch 1.800 Tonnen radioaktiv belasteten Pulvers auf bayerischen Gleisen J. Sonnenschein/K.Kruse.