Gorleben - 10 Jahre aufmüpfig

■ Die Bürgerinitiative Lüchow–Dannenberg feiert morgen Jubiläum am schillerndsten und symbolträchtigsten Standort aller Atomanlagen der Bundesrepublik

Die Bürgerinitiative Lüchow–Dannenberg feiert ihren zehnjährigen Kampf gegen die Atomindustrie im Wendland. Gorleben, die niedliche Ecke im Niedersachsen–Winkel, schillerndster Standort aller Atomanlagen in der BRD, Symbol des gewaltfreien und phantasievollen Widerstands, verhätscheltes Wunschkind der Metropolen–Kämpfer/innen, Atomklo der Nation, Prototyp für die fiese Verlogenheit und Korruptheit von Politikern und Landesregierung, Gorleben hat sein Jubiläum. Gefeiert wird wie immer: Mit Gottesdenst und Robert Jungk, Talk–Show und Rockn Roll, Literatur– und Filmabend. Motto: „Was man nicht aufgibt, hat man nie verloren“ (Goethe).

„Es war am Faßnachtsdienstag, einen Tag vor Aschermittwoch, als Albrecht die Entscheidung verkündete“, erinnert sich Marianne Fritzen, die knapp sieben der letzten zehn Jahre Vorsitzende der BI Lüchow–Dannenberg war. „Erst waren ja drei andere Standorte in Niedersachsen im Gespräch. Aber wir hatten schon im Herbst 76 erfahren, daß auch unser Landkreis Standort werden könnte“, sagt die 63jährige, die heute für die Grünen im Gemeinderat von Lüchow und im Kreistag sitzt. „Gleich am Aschermittwoch, dem 23., sind dann spontan 500 Leute von hier und aus dem Uelzener Raum zum Autokorso nach Hannover gefahren, am 25. haben 200 Trecker in Lüchow demonstriert. Und natürlich“, so fügt sie hinzu, „begannen schon einen Tag nach der Entscheidung die Vorbereitungen zu der Großdemo am 12. März.“ Über 20.000 kamen damals zu dieser ersten Demonstration im Wald bei Gorleben. 2.000 Bäume mit Namensschildern dran wurden gepflanzt. Doch trotz der glorreichen Geschichte des Widerstandes hat die Bürgerinitiative Lüchow–Dannenberg das Motto ihrer Jubiläumsveranstaltungen „10 Jahre Gorleben! - Ein Grund zum Feiern?“ bewußt mit einem dicken Fragezeichen versehen. Zehn Jahre nach Ernst Albrechts Entscheidung, im Gartower Forst ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ bestehend aus WAA, Zwischen– und Endlager zu errichten, stehen nördlich der Straße von Lüchow nach Gorleben die beiden Hallen für Fässer mit schwach– und mittelaktivem Müll und für die Castor–Behälter mit den abgebrannten Brennelementen seit Jahren fertig da. Dreifach gesichert durch Strahlenschutzwall, „Startbahnmauer“ mit NATO– Draht, Sicherheitsstreifen mit Bewegungsmeldern und einem weiteren Drahtzaun. Allerdings nach den Tag–X– Protesten werden seit Frühsommer keine Fässer mehr ins Zwischenlager transportiert. Und das Castor–Lager konnte aus planungsrechtlichen und Sicherheitsgründen nie in Betrieb genommen werden. Die Gerichte wollen das Ergebnis einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe abwarten. „Ohne unseren Widerstand hätten die ungefähr jetzt die Einweihung des Entsorgungszentrums gefeiert“, sagt Marianne Fritzen. Doch eigentlich habe man die Pläne für das nukleare Entsorgungszentrum bis jetzt nur zeitlich entzerren können. Ausgerechnet seit Tschernobyl läuft das Genehmigungsverfahren für die Konditionierungsanlage, die direkt hinter dem Zwischenlager geplant ist. Nicht nur, wie es ursprünglich hieß, „für die Endlagerung verpackt“ werden sollen hier die ausgedienten Brennelemente. Inzwischen ist in der Anlage auch das chemische Herauslösen der hochradioaktiven Spaltprodukte vorgesehen. Und der dritte Teil des „Entsorgungsparks“, das Endlager, ist bereits im Bau. „Beim Endlager“, so sagt Frau Fritzen, „hoffe ich vor allem auf die Geologie.“ Gering seien die Chancen, den Bau noch auf juristischem Weg zu stoppen, seit der Graf von Bernstorff, dem der umliegende Wald und auch das Abbaurecht an dem Salz darunter gehören, den ersten Prozeß verloren habe. Was das Salz angehe, müsse der Graf zwar noch enteignet werden, aber Marianne Fritzen träumt davon, „daß irgendwann unten im Bergwerk das Wasser sprudelt“, und sich so die Gutachten bewahrheiten, die schon immer behaupten, daß der Salzstock löcherig sei wie ein Schweizer Käse. Die ehemalige Vorsitzende hat sich trotz ihrer zwei kommunalen Mandate nicht aus der BI–Arbeit verabschiedet. Sie ist heute in der „Initiave 60“ aktiv, einer Gruppe von 25 alten Kämpfern, die allesamt dem Rentenalter zumindest nahe sind, aber eben „nicht mehr so schnell wie ein 25jähriger rennen können, wenn die Polizei kommt“. „Wir haben - und auch das ist ein wichtiger Erfolg unserer Arbeit - die Bevölkerung im Landkreis auch für die übrigen politischen Fragen sensibilisieren können“, sagt sie. Die Bürgerinitiative Lüchow– Dannenberg hat auch heute noch 600 Mitglieder. „Anders als viele andere BIs gibts uns eben noch“, sagt Frau Fritzen. Doch für die jetzige Vorsitzende, die 29jährige Susanne Kamien, hat das Interesse der Mitglieder in den letzten beiden Jahren doch erheblich abgenommen. Innerhalb eines Jahres habe sich die Zahl derer, die keinen BI–Beitrag gezahlt hätten, von etwa 75 auf 150 verdoppelt. Und die Pressesprecherin, die 23jährige Marianne Tritz, berichtet, daß zu den 14tägigen BI–Sitzungen, auf den seit einem halben Jahr das zehnjährige Jubiläum das Thema sei, nur drei bis 20 Mitglieder erscheinen. Die beiden jungen Frauen meinen, daß der Einzug prominenter BI–Mitglieder in die Parlamente „die Arbeit an der Basis ungeheuer geschwächt hat“. Die BI ist heute auf allen denkbaren parlamentarischen Ebenen, vom Gemeinderat über Kreis–, Land– und Bundestag bis hin zum Europaparlament, mit Grünen Abgeorneten vertreten. In den Parlamenten in Straßburg, Bonn und Hannover sitzen mit Undine von Blottnitz, Lilo Wollny und Hannes Kempmann durchweg ehemalige Pressesprecher der BI. Marianne Fritzen glaubt jedoch nicht, daß der Weg profilierter BI–Mitglieder zu den Grünen die Arbeit im Landkreis geschwächt habe. Auch vor Jahren, so sagt sie, sei in ruhigen Zeiten die Hauptarbeit immer auf den Vorstandsmitgliedern hängengeblieben. Um die Atomanlagen im Wendland ist es in den letzten zwei Jahren insgesamt ruhiger geworden. Seit Sommer letzten Jahres hat es nur noch einen, und zwar mißglückten Anschlag im Landkreis - auf den Neubau der Polizeikaserne - gegeben. Für die auswärtigen AKW–Gegner, die früher die BI immer unterstützt hätten, meint die Vorsitzende Susanne Kamien, stünde seit zwei Jahren eben Wackersdorf im Mittelpunkt. „Wir müssen uns wohl mit der Rolle abfinden, daß wir nur noch eine normale BI sind wie an allen anderen Standorten auch“, sagt sie. Aber so ganz will sie diese Rolle doch nicht akzeptieren: „Wenn das Wetter besser ist, werden wir wieder zu einem bundesweiten Treffen der Gruppen laden, die schon früher mit uns zusammengearbeitet haben.“ Jürgen Voges