Das Ende der Theologie

■ Am vergangenen Samstag starb der Philosoph Jacob Taubes / Ein Nachruf von Norbert Bolz

„Jede Generation teilt sich in die, welche die Glaubenskraft haben, sich täuschen zu lassen - sie meinen, die Verwirklichung, also die Aufhebung der Philosophie stehe vor der Tür - und die, welche die Kraft zur ausdauernden Skepsis haben - sie lassen sich nicht täuschen von den Zeichen der Zeit. Jene sind die besseren, diese die stärkeren Geister, bis es einmal umgekehrt sein wird, und der Glaube der gläubigen Geister zur Wahrheit und die Skepsis der nur interpretierenden Philosophen zur Lüge wird. Dies Schwert hängt über dem scheinbar gefahrenlosen Leben eines hermeneutischen Philosophieprofessors und nimmt ihm das gute Gewissen in seiner Arbeit.“ So charakterisierte Jacob Taubes vor fünf Jahren seine Position. Zunächst lehrte er in Harvard, Princeton und Columbia, dann an der Freien Universität, wo er Anfang der 70er Jahre die Fachbereiche Philosophie und Sozialwissenschaften durch die ersten Stürme steuerte. Man muß ihn gehört haben. Jacob Taubes war ein Sprechender, eine großartige Verkörperung jüdischer Mündlichkeit, dem wie keinem anderen die Anekdote als Form zu Gebote stand. Er hatte Charisma. So waren ihm große Interpretationen der Philosophie oft wichtiger als die Urtexte. Eine dieser großen Interpretationen hat sein Denken besonders geprägt: die von Spengler popularisierte große Parallele zwischen Spätantike und Gegenwart. Sie schaffte sein hermeneutisches Bewußtsein. Für Jacob Taubes waren die Briefe des Paulus und die Texte der Gnosis von höchster Aktualität. Und in den Schriften Max Webers, Carl Schmitts und Walter Benjamins hat er die Wiederkehr diese spätantiken Konstellation erkannt. Hier wie stets führten Taubes Wege in den gefährlichen Bereich, wo sich die simplen politischen Unterscheidungen von rechts und links verwischen. Vor allem in den letzten Jahren vertiefte sich Taubes mit einer an Identifikation grenzenden Leidenschaft in die Paulus–Briefe. So versuchte er aus dem paulinischen Wort von Spiegel und Gleichnis (1. Kor., 13) eine Kritik der historischen Erkenntnis zu entfalten. Vor dem Ende der Vollkommenheit gibt es nur Wissensstückwerk, Erkennen durch den Spiegel in einem fremden Medium - verpflichtet auf Paradoxon, Rätselwort und Dialektik. Wer dies als Theologie abtun möchte, vergißt, daß das Paulus–Wort von Spiegel und Gleichnis gerade das Ende der Theologie ins Auge faßt. Taubes Denken wahrte theologisches Inkognito. Es heißt Hermeneutik - wie das Institut, in dem er waltete.