D O K U M E N T A T I O N „...um die unzumutbare Diskussion abzukürzen“

■ Die Erklärung des stellvertretenden SPD–Vorsitzenden Johannes Rau zum Brandt–Rücktritt im Wortlaut

„1. Der Vorsitzende der SPD, Willy Brandt, hat heute dem Parteivorstand mitgeteilt, daß er sich angesichts der öffentlich geführten Diskussion, für die die Reaktion auf die vorgesehene Besetzung des Pressesprechers der SPD nur ein Symptom sei, nicht die Absicht habe, seine Aufgabe als Parteivorsitzender bis zum Ende einer Wahlperiode zu erfüllen. Er wolle mit dieser Entscheidung die Partei vor verwirrenden und belastenden Diskussionen in einem Jahr wichtiger Landtagswahlen entlasten. Willy Brandt stellt sein Amt jetzt zur Verfügung, um die für die gesamte SPD unzumutbar gewordene Diskussion um die Person seines Nachfolgers abzukürzen. 2. Willy Brandt hat dem Parteivorstand vorgeschlagen, noch vor der Sommerpause einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen und auf diesem Parteitag einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Nach seinem Vorschlag sollen auf diesem Parteitag ein beziehungsweise mehrere Stellvertretende Vorsitzende sowie der kommissarisch bestellte Schatzmeister gewählt werden. Außerdem soll die Organisationskommission prüfen, ob die Sicherstellung der gleichberechtigten Vertretung von Frauen in der Parteispitze eine Änderung der Statuten der Partei erfordert und ob der Bundesgeschäftsführer künftig vom Parteitag gewählt werden soll. 3. Der Parteivorstand ist in eine intensive und sachliche Erörterung dieser Erklärung und dieser Vorschläge eingetreten. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, die überragende Bedeutung Willy Brandts für die deutsche Sozialdemokratie und für unser ganzes Land zu würdigen. Der Parteivorstand hat die Erklärung von Willy Brandt mit Bewegung und Respekt angehört. Die Umstände der Entscheidung von Willy Brandt werden nicht nur in der ganzen SPD, sondern weit über die Grenzen unseres Landes hinaus Betroffenheit auslösen. In diesem Augenblick kann ich nur sagen: die SPD weiß, daß das Lebenswerk von Willy Brandt vor der Geschichte Bestand haben wird. 4. Aus der jetzt entstandenen Situation ergeben sich Fragen, die einer gründlichen Beratung bedürfen. Die Mitglieder des Parteivorstandes sind deshalb gebeten worden, sich auch heute abend noch zur Verfügung zu halten. Unsere Aufgabe besteht jetzt darin, im Sinn von Willy Brandt die programmatische und personelle Erneuerung der Partei voranzutreiben. Der Parteivorstand ist sich darüber im klaren, daß sich die SPD auf ihre politischen Aufgaben in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu konzentrieren hat und sich nicht durch interne Probleme von dieser Aufgabe ablenken lassen darf. Der Parteivorstand will die Geschlossenheit und uneingeschränkte Handlungsfähigkeit der SPD bewahren und wo nötig wiederherstellen. 5. Der Parteivorstand hat den Verzicht von Frau Mathiopoulos mit Respekt für ihre persönliche Haltung zur Kenntnis genommen. Er bedauert zutiefst, daß die Nominierung von Frau Mathiopoulos für die Betroffene zu einer Welle von Vorurteilen und Diffamierungen geführt hat.“ ap FORTSETZUNG VON SEITE 1