Resistance und Klassenkampf

■ Historische Anmerkungen zum heute beginnenden Prozeß gegen Klaus Barbie, den ehemaligen Gestapo–Chef von Lyon / Das Selbstverständnis der Resistance als eines klassenübergreifenden Widerstands erweist sich als brüchig: Der gaullistischen Führung ging es auch darum, den Widerstand der Unterklassen einzudämmen

Von Ahlrich Meyer

Der Prozeß gegen Klaus Barbie könnte einer der letzten großen NS–Prozesse werden. Die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Beschränkung der Anklage auf „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ läßt dafür allerdings wenig Raum. Und die Strategie der Verteidigung, Barbie durch eine Demontage des Mythos der französischen Resistance und durch den Vergleich der NS–Verbrechen mit denen der französischen Armee während des Algerienkriegs zu entlasten, hat nur einen Sensationswert. Andererseits scheinen jedem weitergehenden Klärungsversuch die Maßstäbe zu fehlen, denn die Ereignisse und die politischen Interessen, die in diesem Fall zusammenkommen, sind komplex und widersprüchlich zugleich. Ich will versuchen, den historischen Hintergrund des Prozesses zu skizzieren, wobei ich von zwei Thesen ausgehe: Das Räderwerk der Kollaboration Vichy–Frankreichs mit dem Nationalsozialismus und das Programm der „Endlösung der Judenfrage“ muß als Teil eines europäischen Klassenkampfs von oben begriffen und die Resistance, die gemeinhin als nationale Bewegung verstanden wird, muß in die Koordinaten der Klassenauseinandersetzungen während des 2. Weltkriegs gerückt werden. Von Klaus Barbie, dem ehemaligen Gestapochef von Lyon, wird deswegen geredet, weil sich mit ihm die Erinnerung an die Verhaftung und Ermordung Jean Moulins im Jahr 1943 verbindet - jenes Mannes also, den de Gaulle vom Londoner Exil aus mit der Vereinheitlichung der Resistance–Bewegungen beauftragt hatte. Moulin soll einem Verrat aus den eigenen Reihen zum Opfer gefallen sein, der die Gestapo am 21. Juni 1943 auf die Spur einer Konferenz von Politikern der Resistance im Lyoner Vorort Caluire gebracht haben könnte. Diese Geschichte macht vergessen, wer der SS–Obersturmführer Barbie wirklich war: „un flic tres efficace“, wie einer seiner französischen Mitarbeiter bezeugt hat, ein sehr effizienter Polizeibeamter, in den dreißiger Jahren ausgebildet beim Sicherheitsdienst (SD) in Berlin, Düsseldorf und Dortmund, während der ersten Kriegsjahre an der Niederschlagung des jüdischen Widerstands in Amsterdam und der Partisanenbekämpfung in der Sowjetunion beteiligt. Zwischen 1942 und 1944 baute Barbie als Leiter der Abteilung IV (Gestapo) der Sipo–SD in Lyon ein weitreichendes geheimdienstliches Informationsnetz auf und durchsetzte die organisatorischen Strukturen der französischen Resistance, die in Lyon eine ihrer Hochburgen hatte. Die manifesten Verbrechen Barbies, sein Anteil an der Deportation der Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager, an Folterungen und Geiselerschießungen, waren nicht ausführbar ohne die Rekrutierung eines Heeres französischer Gestapo–Agenten und ohne die Kollaboration zwischen dem Vichy–Regime und den deutschen Besatzungsbehörden. Das ist auch in Frankreich unbestritten und Teil des nationalen Geschichtsverständnisses. Die Abgrenzung von den sogenannten „collabos“ produziert geradezu das Bild der Resistance, das seit der Nachkriegszeit und bis heute zur Legitimation der politischen Klassen in Frankreich gehört. Das Bedrohliche am Fall Barbie liegt wohl darin, daß sich zeigen könnte, wie eng Resistance und Kollaboration oftmals nebenein ander lagen und wie wenig sich die Politik mancher der miteinander konkurrierenden Strömungen innerhalb der Resistance von der nationalsozialistischen Frankreich– Politik unterschieden hat. Die internationale Kontinuität des Nationalsozialismus Darüber hinaus gerät der Legitimationszusammenhang ins Wanken, der die französische Resistance über das Datum der nationalen Befreiung Frankreichs vom Nazismus mit der Staatlichkeit der IV. und V. Republik verbindet. Die von der SS bei der Bekämpfung der Widerstands– und Partisanenbewegungen angewandten Methoden haben sich nach 1945 weltweit ausgebreitet. Frankreich hat - in grausamer Umkehrung der Erfahrungen der Resistance - einen schmutzigen Krieg gegen die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Indochina und Algerien geführt. Was nach Ende des 2. Weltkriegs im Bereich der westlichen Demokratien formell geächtet blieb: die Anwendung der Folter beim Polizeiverhör, summarische Hinrichtungen und Massaker an der Zivilbevölkerung, das wurde in die Dritte Welt exportiert. Der Fall Barbie ist auch in dieser Hinsicht aufschlußreich. Er steht für eine internationale Kontinuität des Nationalsozialismus unter antikommunistischem Vorzeichen, die bereits vor 1945 angebahnt wurde. Daß der Nationalsozialismus schließlich in seinen modernen Aspekten, vor allem im sozialpolitischen und gesellschaftsplanerischen Bereich, die Geschichte der BRD kontinuierlich geprägt hat, ist uns viel zu spät bewußt geworden. Diese Geschichte ist ja nicht bloß von einer systematischen Bagatellisierung der Nazi–Verbrechen durch die Justiz durchzogen. Nicht nur haben - was das Pendant dazu ist - die aufeinanderfolgenden Generationen der westdeutschen Linken einem „hilflosen Antifaschismus“ (F.W. Haug) angehangen, bei dem es letztlich gleichgültig blieb, ob er aus den Quellen der reeducation, der Kollektivschuld–These oder aus den Kominternanalysen der zwanziger und dreißiger Jahre gespeist war. Jedenfalls mußte dieser Antifaschismus zu keiner Zeit unter Beweis gestellt werden, solange auch die Linke von einer Nachkriegsordnung profitierte, die auf den Schädeln der Erschlagenen aufgebaut war. Die historische Realität wurde damit in doppelter Weise verfehlt: Unsere vollständige Ignoranz gegenüber den revolutionären Dimensionen der Widerstands– und Partisanenbewegungen im 2. Weltkrieg verband sich mit unserer Blindheit angesichts der Effizienz einer vom Nationalsozialismus geformten, technokratischen Machtelite, die 1945 gerade 30 Jahre alt war und ihren entscheidenden Beitrag zum Aufbau des BRD–Staats leisten konnte. Resistance - nationale oder soziale Bewegung? Die französische Resistance war von einem Selbstverständnis getragen - vom Pathos des klassenübergreifenden nationalen Widerstands gegen die nazistische Okkupation -, das seinerseits nur die Funktion einer spezifischen Politik darstellt und das sich aus historischer Sicht als widerspruchsvoll und brüchig erweist. Nicht allein, weil die Resistance gaullistische und kommunistische Strömungen umfaßte. Nehmen wir die Mission Jean Moulins. Moulin kam 1942 im Auftrag de Gaulles (und des britischen Intelligence Service im Hintergrund) mit der zweifachen Aufgabenstellung nach Frankreich, zum einen die verschiedenen Resistance–Bewegungen der nicht–besetzten Zone unter Containment des bewaffneten, kommunistischen Widerstands zu vereinheitlichen und zum anderen politische und militärische Strukturen im nationalen Rahmen aufzubauen (vor allem den Nationalen Widerstandsrat C.N.R.), die die Weichen für die Nachkriegsordnung in Frankreich stellen sollten. In dieser Mission spiegelt sich eine Koalition von Interessen gegenüber der Resistance wider, von Einsatz, Aufkauf und „Verrat“, die allesamt den genuin sozialen Charakter des Widerstandskampfs von unten gebrochen und ihm das Schema einer gaullistischen bzw. stalinistischen Antihitlerpolitik aufgezwungen haben. Darin verbirgt sich zugleich das eigentliche Legitimationsproblem der französischen Resistance. Mit dem Bezugspunkt der nationalen Befreiung Frankreichs verliert sie ein Stück ihrer Legitimität. Angriffe auf deutsche Besatzungstruppen mußten nach dem deutsch–französischen Waffenstillstand von 1940 als Akte von Freischärlern gelten. Und die Methoden ihrer Bekämpfung durch die Wehrmacht und die Gestapo lagen, so muß dann konsequenterweise gesagt werden, in der gleichen Logik des Kriegsrechts, mit der die französische Armee später ihre Folterpraxis und Massaker in Algerien gerechtfertigt hat. Innerhalb der nationalsozialistischen „Neuordnung“ Europas, jenes gigantischen ökonomischen und sozialpolitischen Entwicklungsmodells des deutschen Imperialismus, sollte Frankreich als eine den Kriegszielen der Nazis in Osteuropa zuarbeitende Volks wirtschaft und als Arbeitskräftereservoir eine besondere Rolle einnehmen. Diese Rolle war im Waffenstillstandsabkommen vorgezeichnet und fand ihren politischen Niederschlag zunächst in der sorgfältigen Ausbalancierung zwischen einer militärischen Teilokkupation des französischen Territoriums und der Etablierung eines mehr oder weniger souveränen Kollaborationsregimes in Vichy. Die deutsche Besatzungsmacht wurde durch den „Militärbefehlshaber in Frankreich“ und - parallel dazu ab 1941 - durch einen „Höheren SS– und Polizeiführer“ (Oberg/ Knochen) repräsentiert. Das Programm der deutsch–französischen Kollaboration schloß jedoch ein, daß Frankreich jedenfalls formell nicht irgendeiner deutschen Souveränität unterstellt wurde, sondern daß das Vichy–Regime die nazistische Politik - vor allem die Erfassung und Deportation der Juden und die Rekrutierung von Zwangsarbeitern - in eigener Regie einleitete. Vichy war kein von außen aufgezwungenes System, sondern eine Antwort auf die Volksfrontregierung von 1936 und ein Modell präventiver Konterrevolution angesichts der möglichen sozialen Auswirkungen der Niederlage Frankreichs im Jahr 1940. Die deutsche Besetzung wurde zu einem inneren Angriff auf die Unterklassen und zu einer beispiellosen Reorganisation der Klassen herrschaft der französischen Bourgeoisie benutzt. Dabei kam der Politik der „Endlösung der Judenfrage“, in deren Mittelpunkt die nach dem 1. Weltkrieg aus Osteuropa nach Frankreich eingewanderten jüdischen Arbeitsimmigranten standen, eine entscheidende Hebelwirkung zu. Eine autonome Linie in der Resistance? Der Waffenstillstand schloß die „Sicherheit“ der deutschen Besatzungstruppen in Frankreich ein. Sabotageakte und bewaffnete Formen des Widerstands gehörten nach Lage der Dinge in den Bereich des „Terrorismus“. Seit den ersten Aktionen gegen deutsche Besatzungsangehörige in Paris im August 1941 ist umstritten, ob nicht die Verkettung von „Terrorismus“ und Repressalien erst den Aufbau des Gestapo–Systems in Frankreich in einem nach dem Programm der deutsch–französischen Kollaboration nicht vorgesehenen Ausmaß provoziert hat. Spätestens 1942, als die tödliche Dimension der „Endlösung“ sichtbar wurde, war die Resistance mit der sozialen Angriffs– und Vernichtungsgewalt des Nationalsozialismus konfrontiert. Die entschiedensten Kerne des bewaffneten Widerstandes bildeten sich aus den internationalistischen Sektionen der Kommunistischen Partei Frankreichs und der osteuropäisch–jüdischen Arbeitsimmigration heraus. Sie setzten sich großenteils aus Jugendlichen der zweiten Generation zusammen, deren Angehörige den großen Judenrazzien zum Opfer gefallen und deportiert worden waren. Diese Partisanengruppen repräsentierten eine Linie innerhalb der Resistance, die im Nationalsozialismus nicht die deutsche Siegermacht, sondern die Zerstörung der eigenen Existenzbedingungen bekämpfte. Damit aber gerieten sie zunehmend in Widerspruch zur Linie der Kommunistischen Partei, die weder die besondere Lage des jüdischen Widerstands aufzugreifen imstande war, noch die taktischen Erfordernisse des Guerillakampfes unter städtischen Bedingungen immer berücksichtigte. Letzten Endes wurde diese Linie durch das Bündnis der Kommunisten mit dem Gaullismus eingekreist. Alle Bemühungen, die Resistance mit militärischen und politischen Strukturen zu überziehen, die eine neue Staatlichkeit antizipierten, konnten nur diesen Sinn haben, sie nicht zu einer Waffe in den Händen der französischen Unterklassen werden zu lassen. Nicht nur die Vichy–Kollaboration, auch die Resistance unter gaullistischer Führung trägt Züge der präventiven Eindämmung des Widerstands von unten an sich. Gaullisten und Kommunisten kämpfen um Einfluß Welche Konstellationen beherrschten die französische Resistance in den Jahren 1942/43? Aus verschiedenen rivalisierenden Ansätzen entwickelte sich eine gaullistische Mehrheit, der beträchtliche logistische Möglichkeiten (Waffen) aus England zur Verfügung standen und die sich auf Teile der ehemaligen Verwaltungsstruktur, des Militärs und der politischen Parteien der III. Republik stützen konnte. Ihre eigentliche Massenbasis fand sie, als die Deportation von Zwangsarbeitern nach Deutschland immer mehr junge Franzosen in den Untergrund trieb. Das strategische Konzept des Gaullismus für die Resistance bestand darin, die deutsche Besatzungsmacht zunächst nicht offen anzugreifen, sondern ein Dispositiv für den Tag X der nationalen Befreiung im Rahmen einer alliierten Invasion bereitzustellen. Die Kommunisten propagierten demgegenüber - nach dem Bruch des Hitler–Stalin–Pakts und dem Überfall auf die Sowjetunion - die Linie der direkten, bewaffneten Aktion durch den Aufbau eigener Partisanenformationen (F.T.P.F.). Unter Komintern– Diktat und im politischen Bündnis mit den Gaullisten auf das Programm der nationalen Befreiung festgeschrieben, behandelten sie jedoch den Einsatz dieser bewaffneten Gruppen zunehmend nach parteitaktischen Gesichtspunkten und als Faustpfand. Es gibt genug Beispiele dafür, wie jüdische und internationalistische Kerne der F.T.P.F. im Zusammenspiel zwischen Komintern und Gaullismus fallengelassen und dann von der Gestapo aufgerieben wurden. In diesen politischen Konstellationen liegt die Ursache wenn nicht für „Verrat“, so doch für fließende Übergänge zwischen Resistance und Kollaboration. Weil die Resistance von Machtkämpfen umgeben und von einer geheimdienstlichen Struktur überformt war, brachte sie ohnehin Grenzträger hervor. Nur deswegen gelang es Barbie in Lyon, ein Netz von Informanten aufzubauen, Resistance–Leute umzudrehen und Teile des kämpfenden Untergrunds aufzurollen. Zwar hat die französische Resistance– Geschichtsschreibung nie ausgeschlossen, daß bei den mit dem Namen Barbie verbundenen Ereignissen im Juni 1943 (die Verhaftung Moulins) Verrat oder zumindest eine Reihe von gravierenden Fehlern eine Rolle gespielt haben könnten. Aber jene Tendenz zur Kollaboration, die im Klassencharakter der gaullistisch geführten Resistance angelegt war, wird bis heute aus der historischen Diskussion ausgeblendet. Und die Frage, aus welchen Gründen die Resistance - die unzählige Eisenbahnlinien sabotiert hat - nicht die Abfahrt eines einzigen Judentransports von Drancy nach Auschwitz verhindern konnte, ist niemals beantwortet worden.