Start für Ost–West–Dialog von unten in Polen

■ In Warschau trafen sich erstmals Vertreter unabhängiger Friedensbewegungen aus Ost und West / Die Suche nach gemeinsamen Perspektiven führte zu einer Basis für weitere Zusammenarbeit / Die Position der Grünen–Vertreter wurde von den Polen gut aufgenommen / Polnische Regierung duldete die Veranstaltung

Warschau (taz) - Schauplatz ist eine Warschauer Kirche im Wiederaufbau, in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Ghettos. Die Fenster fehlen, aber überall hängen Kunstwerke. Der Verband der bildenden Künstler steht für die Ausgestaltung. Von Gemütlichkeit kann bei der Kälte keine Rede sein, aber es herrscht eine begeisterte Stimmung, denn die hier Versammelten nehmen an einem außerordentlichen Ereignis teil: am ersten Kongreß unabhängiger Friedensgruppen aus Ost und West, organisiert von der polnischen Bewegung „Freiheit und Frieden“. Den Standpunkt der polnischen Regierung dazu beschrieb Regierungssprecher Urban: unter „Mißbrauch kirchlicher Einrichtungen“ habe eine „illegale politische Gruppe“ eine „illegale politische Veranstaltung“ abgehalten. Diese Gruppe verfolge „antistaatliche“ und „antinationale“ Ziele. Mit ihrem Eintreten für Abrüstung in Verbindung mit Realisierung der Menschenrechte beabsichtige sie, das sozialistische System in Polen zu stürzen und seine Verteidigungskraft in einer Situation schwerer militärischer Bedrohung zu schwächen. Sie arbeite damit objektiv den Gegnern der sozialistischen Staaten in die Hände. Die angereisten Vertreter der westlichen Friedensbewegung unterstützten durch ihre Teilnahme am Kongreß diese Bestrebungen. Diese Äußerungen Urbans, die mit den inhaltlichen Ergebnissen des Kongresses nicht übereinstimmen, sind allenfalls geeignet, das Ansehen der Bewegung „Freiheit und Frieden“ in der polnischen Gesellschaft zu stärken und den allgemeinen Eindruck zu korrigieren, die westliche Friedensbewegung sei Werkzeug der realsozialistischen Machthaber. Der Kongreß konnte in der zweiten Maiwoche so abgehalten werden, wie sich die Organisatoren das gedacht, wie es aber außer ihnen kaum jemand in Polen für möglich gehalten hatte, gegen den Druck der Behörden und der Kirchenführung, der der politische Charakter der Veranstaltung Mißbehagen bereitete. Die Machthaber beschränkten sich auf intensive Überwachung vor allem auf umfangreiche Film–, Photo–, und Tondokumentation. Auch die anfangs festgesetzten annähernd dreißig Mitglieder von „Freiheit und Frieden“ wurden noch im Verlauf des Kongresses freigelassen. Abwesende waren präsent So konnten sich schließlich mehr als zweihundert Teilnehmer, unter ihnen rund sechzig Vertreter der bedeutendsten Gruppen der westlichen Friedensbewegung, zur Diskussion zusammensetzen. Gekommen waren auch Vertreter aus Finnland, aus Jugoslawien, und sogar ein Repräsentant der Charta 77. Einladungen waren natürlich auch in andere realsozialistische Länder gegangen, die Eingeladenen aber an der Reise nach Warschau gehindert worden. Sie konnten jedoch schriftlich bzw. telefonisch ihre Beiträge schicken und so sich zumindest indirekt am Kongreß beteiligen. So kam ein wichtiger Beitrag aus der DDR, ein weiterer von der Moskauer „Gruppe für den Aufbau von Vertrauen zwischen der UdSSR und den USA“. Stark vertreten waren die westdeutschen Grünen mit dem Bundestagsabgeordneten Helmut Lippelt an der Spitze. Ihr Auftreten hinterließ bei den Polen einen sehr positiven Eindruck. Dieter Esche von der Alternativen Liste warnte aber davor, in Illusionen zu verfallen, stelle doch die hier vertretene Position der vorbehaltlosen Unterstützung der polnischen Opposition bei den Grünen eine Minderheitsmeinung dar. Thema des Kongresses war „Der internationale Friede und das Helsinki–Abkommen“. Besprochen wurden Fragen wie Entspannungspolitik, Zusammenhang zwischen Frieden und Menschenrechten, Wehrdienstverweigerung und gewaltfreier Widerstand, aber auch der Kampf gegen die Umweltverschmutzung. Hauptziel des Kongresses war die Suche nach Möglichkeiten einer Zusammenarbeit unabhängiger Bewegungen in Ost und West. Die nahezu euphorische Atmosphäre war geprägt von den besonderen Verhältnissen, unter denen das Ganze in Warschau ablief. Der Kongreß konnte tatsächlich stattfinden, obgleich die polnischen Behörden im Vorfeld einiges unternommen hatten, um ihn zu verhindern. Die Hoffnungen, die sich damit für die Polen verbanden, teilten sich auch den westlichen Besuchern mit. Seit dem Kriegszustand hatte im Lande von Solidarnosc die Opposition keine öffentliche Veranstaltung dieses Umfanges mehr durchgeführt. Lob von Solidarnosc–Kadern Offenbar sind die „Kinder der Solidarnosc“ in der Lage, der Opposition in Polen neuen Auftrieb zu geben. Bisher als für polnische Verhältnisse unorthodoxer Haufen von den alten Kämpen nicht recht ernst genommen, erwarb sich „Freiheit und Frieden“ mit der erfolgreichen Durchführung des Kongresses Anerkennung in der Gesellschaft. Mehrere alte Solidarnosc–Aktivisten nahmen am Kongreß teil und zeigten sich schwer beeindruckt. Begeistert äußerte sich etwa Anna Walentynowicz, die Werftarbeiterin aus Gdanks, die entscheidenden Anteil an der Gründung der ersten freien Gewerk schaft im Realen Sozialismus hatte. Nur die Apathie der Gesellschaft ermöglicht ihrer Ansicht nach die Unfreiheit in Polen, nur aktiver Widerstand helfe gegen Gewaltherrschaft. Wichtige Beiträge zur Diskussion lieferte auch Zbigniew Romaszewski, der vor allem durch seine Untergrundaktivitäten wäh rend des Kriegszustandes hervorgetreten war. Weitere Solidarnosc–Prominente waren der Historiker Geremek und der ehemalige Pressesprecher der Gewerkschaft Onyszkiewicz. Teilnehmer waren auch Stefan Bratkowski, bis zum Kriegszustand einer der führenden Köpfe des Reformflügels in der Kommunistischen Partei und in der Solidarnosc–Zeit Vorsitzender des Journalisten–Verbandes, jetzt arbeitslos. „Seit dem Dezember 1981 wurde es zur allgemeinen Überzeugung, daß man nichts tun könne“, so sagte er. „Die jungen Leute von Freiheit und Frieden taten einfach etwas.“ Was sie unternahmen, ist auch gelungen. Der Kongreß vereinigte erstmals Vertreter unabhängiger Bewegungen aus Ost und West und schuf durch seinen Verlauf, durch die fruchtbare Diskussion eine gute Basis für weitere Zusammenarbeit. Man war sich einig, daß der Kampf für den Frieden große Bedeutung hat und daß man ihn gemeinsam in die Hand nehmen muß, ihn nicht den Regierungen überlassen darf. Man war sich sogar im Grundsatz darin einig, daß Freiheit und Frieden untrennbar sind, daß sie als Ziele notwendigerweise miteinander verbunden angegangen werden müssen. Ein gar nicht selbstverständliches Faktum angesichts der Unterschiedlichkeit der Verhältnisse, in denen die einzelnen Diskussionsteilnehmer leben. Beschlossen wurde, für allseitige Abrüstung und für die Realisierung der Menschenrechte in allen Ländern mit dem Ziel zu kämpfen, durch gesellschaftliche Kontrolle über die Regierungen den Frieden zu verwirklichen. Der Vorschlag der Grünen, ein internationales Informationsbulletin und ein internationales Interventionsbüro aufzubauen, wurde allgemein akzeptiert, die Konkretisierung allerdings verschoben. Luwa