I N T E R V I E W „Da kannst du lange buttern - es bleibt doch Buttermilch“

■ Der Chef der IBA–(Alt)–Nachfolgesellschaft S.T.E.R.N., Hardt–Walther Hämer bilanziert acht Jahre behutsame Stadterneuerung in Berlin–Kreuzberg / Die Regierenden ziehen nicht mit

taz: Herr Hämer, sehen Sie nach den Auseinandersetzungen am 1.Mai in Kreuzberg auch das Konzept der behutsamen Stadterneuerung als gescheitert an? Hämer: Nein, unsere Arbeit sehe ich dadurch nicht in Frage gestellt. Der 1. Mai ist eine Quittung für falsches Denken und Handeln auf den verschiedensten Ebenen. Wer jetzt vereinfachend von den Randale–Rabauken spricht, geht die Ursachen nicht an. Unsere Aufgabe war es, „kaputte Stadt zu retten“, und die besteht in erster Linie aus Menschen, und man muß fragen, ist das Verhältnis zwischen den Menschen noch in Ordnung? Wenn die Politik Kreuzberg nun zum Problemort Nr.1 macht, ist das Quatsch. Kreuzberg ist ein Experiment, ein Stück Labor für gesellschaftliche Probleme, zum Teil stellvertretend und vorwarnend für andere Orte. Unsere Gesellschaft ist auf solche Irritationen nicht eingestellt. Konventionen, die zu solch verschobenen Situationen besser passen, kann man aber nur im Probieren entwickeln, nicht theoretisch. Dafür ist Kreuzberg auch ein Geschenk. Die Häufung der Mißstände dort ist das Labor und nicht, daß sich jemand im weißen Kittel hinstellt und schüttelt. Werden die Menschen dabei nicht zu Versuchsobjekten, führt das nicht neuerlich zu Irritationen? Behutsame Stadterneuerung heißt, daß die Leute mitberaten und abstimmen, was Sache ist. Das heißt, man findet Möglichkeiten, miteinander kollidierende Interessen ins Lot zu bringen. Das sind ganz kleine Momente, der Krach nebenan oder das Wasser, das durch die Decke kommt. An solch profanen Dingen macht sich Lebensqualität fest. Das ist kein hochfliegender Gedanke, sondern das Eingehen auf die tagtägliche kleine Not. Die Elemente der Mischung in Kreuzberg, Kleinbürger, Türken, Alternative, Autonome, sind doch in sich widersprüchlich und nicht einfach in einem demokratischen Prozeß der Stadtsanierung zu versöhnen? In diesem engen Nebeneinander, 180 Menschen auf einem Hektar, durchschnittlich sind es in Berlin 130, gibt es natürlich Abgrenzungserfordernisse. Du muß dich entweder gewöhnen oder du gehst weg. Bei allen Kontrasten ist jedoch eine unerhörte Toleranz vorhanden, die Unterschiedlichkeit des anderen zu akzeptieren. Die Urbanität des Bezirks besteht gerade aus den unterschiedlichen Menschen, den Bautypen. Verspielt die Politik die Chancen dieses Experiments? Es gab Zeiten, da wollte man aus diesem steinernen Berlin eine Dahlemer Vorgartenstadt machen, wenigstens Steglitzer Verhältnisse etablieren. Das wirkt noch nach. Bis heute gibt es bei den Regierenden kein echtes Verständnis für das, was wir tun. Sie sind grundsätzlich nicht auf einen Abstimmungsprozeß mit den Betroffenen eingestellt. Sie stimmen sich als Regierende ab, aber nicht mit den Betroffenen. Die Einzelressorts müßten aufgebrochen werden, sie müßten zusammenkommen, von Wirtschaft bis Erziehung. Jeder hat allein zwar diue Fähigkeit, etwas zu verhindern, aber keiner, etwas zusammenzubr kannst heute buttern soviel du willst, du bleibst bei Buttermilch und kriegst keine Butter heraus. Es ist das alte Problem der IBA, Vertrauen zu schaffen, ohne den Rückhalt des Senats zu verlieren. Wir müssen natürlich artig genug sein, daß der Senat uns mag. Die private S.T.E.R.N.–Gesellschaft kann im Gegensatz zur alten IBA als Landesgesellschaft lächelnd abgeschafft werden, wenn sie in der Öffentlichkeit keinen Rückhalt hat. Deshalb ist die Verwaltung jetzt viel schärfer am Drücker und kann uns disziplinieren. Die wollen, daß wir menpower zurückbauen, Leute entlassen. So setzen wir uns innerbetrieblich auseinander, aber viel weniger mit der Sache. Nun ist S.T.E.R.N. im Zuge der Antes–Affäre doch zu einem akzeptierten Gutachter bei Modernisierungsvorhaben geworden, zumindest informell? Das ist eine einfache Kette. Nach der Schmiergeldaffäre müssen die Volksvertreter für eine ordentliche Verwendung der öffentlichen Gelder sein. Da das bisher nie kontrolliert wurde, sucht man jetzt nach Kontrolleuren. Das ist nur ein Nachprüfen, ob das Geld richtig ausgegeben ist. Ich würde lieber konzeptionell arbeiten, obwohl es ein Macht– und Vertrauenszuwachs ist. Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages Bausenator dieser Stadt zu sein? Ich glaube nicht, daß das irgendjemandem dient. Was wir jetzt machen, ist richtiger und wichtiger und bringt auch mehr als die Leitung einer Behörde, die mit Leuten besetzt ist - eine unfaßbare Kontinuität - die vor zehn Jahren die Kahlschlagsanierung gemacht haben. Diese Behörde müßtest du auf behutsame Stadterneuerung umstellen, da rührt sich aber nichts. Ich habe erlebt, wie Harry Ristock (SPD) und Rastemborski (CDU) an ihrer Verwaltung gescheitert sind. Ristock (SPD) mußte die IBA gegen seine Verwaltung installieren. Und so geht das weiter. Dorthinein zu gehen hieße, die Strukturen nicht mehr bewegen zu können. Dann ist die Bilanz alles in allem nicht resignativ? Sie ist ambivalent. Einerseits ist ein Erkenntnisschub auf verschiedenen Gebieten entwickelt worden. Es hat sich was bewegt. Es gibt die vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten zwölf Grundsätze zur behutsamen Stadterneuerung, in denen das Beteiligungsrecht der Betroffenen geregelt ist. Auf die kann man sich berufen. Bitter ist, wie schnell der natürliche Gang von Macht ist, wenn man nicht mehr betroffen ist, wenn es keine besetzten Häuser mehr gibt, wenn die Leute damit beschäftigt sind, ihre Buden in Ordnung zu bringen, wenn alle Versprechen oder Beschlüsse inhaltlich vergessen werden, obwohl sie formal aufrechterhalten bleiben. Dann sind die Verwerter wieder vorn und die Befriedungsbemühungen werden zu Befriedungsinteressen. Dann darf die Miete steigen, und was verabredet worden ist, ist schon Schall und Rauch. Das Gespräch führten Klaus Hartung und Benedict M. Mülder