Rot–grüne Revolution auf dem Deich

■ Konflikt zwischen Bauerninteressen und Naturschutz / Am rechten Weserufer Bremens übernahm eine „Naturschutzliste“ sozialdemokratischer und grüner Haus– besitzer die Mehrheit im Deichverband / Die meisten Umweltschützer in der Bundesrepublik haben Bedeutung der Wasser– und Bodenverbände noch nicht erkannt

Aus Bremen Klaus Wolschner

„Am Lehester Deich“ ist eine feine Bremer Adresse. Einzelne Villen säumen rechts und links den Binnen–Deich, nach beiden Seiten hin versprechen weite Wiesen eine ländliche Atmosphäre. Zwischen den Privathäusern steht da auch ein 10–Millionen–Objekt, „Deichschloß“ im Jargon genannt, allerdings eines nach dem Geschmack der Architekten der 70er Jahre. Hier residiert, als „Hauptmann“ des Deichverbandes, seit ein paar Monaten ein bekannter Bremer Umweltschützer, Gerold Janssen. Vom „einzigen intakten Bündnis“ zwischen rot– grün, genauer: zwischen den roten und den grünen Bremer Hausbesitzern sieht er sich ins Amt gebracht, verdrängt ist die Mehrheit der CDU–orientierten Bauernklientel, die hier traditionell residierte. Immerhin verfügt der Deichverband am rechten Weserufer über 8 Millionen Mark Mitgliederbeiträge jährlich. Die Gezeiten stauen die Weser bis nach Bremen hin, ohne die Deiche wäre bei Flut hier Land–unter. Von daher erklärt sich die traditionelle Bedeutung der Verbände, in denen sich die Grundbesitzer zusammenschlossen. Deren Zwangsbeiträge werden heute über das Finanzamt abgewickelt, der Deichverband ist eine unter staatlicher Aufsicht stehende, aber selbstverwaltete Einrichtung. Und während hier jahrhundertelang die Bauern ihr Interesse an Deichschutz und an einem - über die Wassergräben - schnellen Abfluß der Regenwässer durchsetzten, um aus den Feuchtwiesengebieten „Kulturlandschaft“ mit festem Boden zu machen, den sie heutzutage mit ihren schweren landwirtschaftlichen Maschinen befahren wollen, kämpfen die Naturschützer seit einigen Jahren für einen hohen Wasserpegel, der die Wiesen in ihren früheren „Feuchtwiesen“–Zustand versetzt und Zugvögeln wie angestammten Pflanzen wieder Lebensraum zurückgibt. Der Streit von konservativen Bauern, die ihre Landwirtschaft wie industrielle Produktion betreiben, und zumeist städtischen Ökologen ist nicht auf Bremen beschränkt; quer durch die Bundesrepublik gestalten und pflegen vergleichbare Wasser– und Bodenverbände die Uferzonen der Wasserläufe. Die Wasser–und Bodenverbände sind zuständig für den Küstenschutz, in Niedersachsen zum Beispiel in vielen Fällen auch für die Abwasserbeseitigung und die Trinkwassersicherung. Vom „Deichen“ zum „Bewässern“ Nicht mehr nur die Wasserabführung, sondern gleichermaßen den Schutz bis hin zur Regeneration der Natur in den Gewässern sieht der Niedersächsische Dachverband „Wasserbandstag“ als Aufgabe der Wasser–und Bodenverbände an und verweist dafür auf das 1986 vom Bundestag verabschiedete Wasserhaushaltsgesetz, in dem sogar „Bild und Erholungswert der Gewässerlandschaft“ zu den schützenswerten Gütern hinzugerechnet werden. Der Geschäftsführer dieses Wasserverbandstags, Hans–Christian Freiherr von Steinäcker, muß sich hier und da schon wegen seines „grünen Irrweges“ Kritik gefallen lassen, wenn er vor Ort den Wasser–und Bodenverbänden die Erweiterung der Verbandsaufgaben erläutert. Die Ernährungssicherung sei „kein Problem mehr, im Gegenteil“, Über schüsse würden erzeugt, und die „Agrarlandschaft“ sei dafür „ausgeräumt und an Pflanzen– und Tierarten verarmt“, hat von Steinäcker in den letzten Rechenschaftsbericht seiner Geschäftsstelle hineingeschrieben, die gleichzeitig die Rolle des Bundes– Dachverbandes übernommen hat. Wiederausbreitung der Arten und eine ästhetische Gestaltung der Agrarlandschaft seien erforderlich. „In den Konflikt zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft sind die Wasser–und Bodenverbände an vorderster Front mit eingebunden“, erklärte von Steinäcker. Er sieht die Chance, daß den Verbänden neue Aufgaben des Natur–und Umweltschutzes übertragen werden. Dies sei allerdings nur möglich, erklärte er in seinem Geschäftsbericht für 1986, wenn die bisherigen Maßnahmen der Verbände „den unbedingt notwendigen Gegebenheiten des Naturschutzes“ entsprechen. In diesem Sinne hat sich in Bremen eine rot–grüne Hausbesitzer–Opposition als „Naturschutzliste“ formiert und beim Bremer „Deichverband rechts der Weser“, der schon zur ökologischen Uferpflege nur durch heftige Kritik von Bürgerinitiativen zu bewegen war, gegen die alte Mehrheit angetreten. Landwirte, CDU–Funktionäre und sogar ein Vertreter aus der Geschäftsetage des Klöckner– Stahlwerks stellten bislang die „demokratischen“ Vertreter im Verband, sie hatten das öffentliche Desinteresse in den letzten Jahren immer wieder für sich nut zen können. In mühseligen Gesprächen hatte der Initiator der Naturschutz–Liste, Gerold Janssen, Einzelpersonen aus Kirchen, Umweltverbänden und Parteien für die Machtübernahme auf dem Deich gewonnen, und trotz gezielter Wahlempfehlungen der CDU erreichte die Naturschutzliste eine klare Mehrheit im Parlament des Verbandes, dem „Deichamt“. Wie jede Revolutionsregierung hat die neue Verbandsspitze nun zu kämpfen mit der alten, eingefahrenen Bürokratie. Die Mitarbeiter, die früher die Uferzonen freizumachen suchten von störendem Schilf und Kleinholz und die die Kanäle am liebsten mit Bongossi–Holz von der Natur der umliegenden Wiesen abschnitten, müssen jetzt den Wert von wilder Ufervegetation und „Unkräutern“ schätzen lernen. Wenn Wasserläufe von einer Seite her den Maschinen zugänglich sind, reicht das, verkündete der neue Deichhauptmann. Und der Verband, der sich jahrelang für Schutz gegen Wasser zuständig fühlte und sich so z.B. gegen eine winterliche Überflutung bestimmter Wiesen zur Wehr setzte, hat den „Naturschutz“ und die „Bewässerung“ ins Programm geschrieben bekommen. Gegen die Stadtgemeinde Bremen, die bei Regengüssen die überall durch die Stadt gezogenen Wasserläufe als Überlauf–Kanäle für die städtischen Abwässer zu mißbrauchen pflegt, hat die neue Deichverbands– Mehrheit ein Ultimatum verhängt: Bis 1995 spätestens muß eine neue Kanalisation diesen gesetzeswidrigen Zustand beenden, forderte jüngst der neue Vorstandssprecher des Deichamtes. Wenn andernorts die Bedeutung dieser Wasser– und Boden– verbände von denen, die Jahr für Jahr ihre Beiträge bezahlen, erkannt würde, könnte ein neuer Verbündeter im Umweltschutz entstehen. Insgesamt verfügen die Boden– und Wasserverbände bundesweit über Maschinenparks, qualifiziertes Personal und Büros. Allein die Etats zur Unterhaltung der Gewässer dürften in Niedersachsen ca. 100 Millionen Mark betragen, schätzt der Geschäftsführer des niedersächsischen „Wasserverbandstages“, allein für den niedersächsischen Küstenschutz kommen noch einmal 120 Millionen hinzu. Bundesweit dürften die Etats der Wasser– und Bodenverbände die Milliardengrenze überschreiten. Nur in wenigen Orten haben die Bürgerinitiativen und Umweltschützer deren Bedeutung bisher erkannt.