Kongreß der Tupamaros in Uruguay

■ Der Prozeß der Selbstkritik über die Erfahrungen der Vergangenheit ist abgeschlossen / Jetzt bestehen ideologische Differenzen über die zukünftige Strategie

Aus Montevideo Gaby Weber

Vom 19. bis 21. Juni fand im Basketball–Stadion „Platense“ der vierte Kongreß in der Geschichte der MLN–Tupamaros statt. Die ehemaligen Stadtguerilleros diskutierten drei Tage lang über die Zukunft ihrer Organisation. Eine Woche nach dem Treffen wurde das neue 25köpfige Zentralkomitee der Bewegung gewählt. „Der Kongreß ist ein Meilenstein“, sagt Raul Sendic, historischer Führer der MLN, „er markiert das Ende einer Etappe.“ Im März 1985 waren die Tupamaros nach 13jähriger Haft amnestiert worden und arbeiten seitdem in der Legalität. Zunächst war es um den Wiederaufbau der Organisation gegangen, das Zusammenbringen der Mitglieder, die während der Militärdiktatur im Gefängnis, im Exil oder im Lande verstreut waren. „Die Restrukturierung ist abgeschlossen und mit ihr der Prozeß der Selbstkritik“, behauptet Sendic, „wir müssen jetzt den Blick in die Zukunft richten.“ Die Gründe ihres Scheiterns hatten die Tupamaros schon bei ihrem Treffen im Dezember 85 diskutiert. Einig war man sich damals darüber, daß der Organisation in der letzten Phase des Kampfes (1970 - 72) die Strategie ausgegangen war, und während die MLN, die „Bewegung zur nationalen Befreiung“, so hieß die Organisation der Tupamaros offiziell, immer größer wurde, hatte man die neuen Mitglieder zwar praktisch–militärisch aber kaum ideologisch geschult. Unstrittig war auch die mangelnde Verankerung im Volk, und daß man sich seinerzeit nicht darüber im Klaren war, wer eigentlich das revolutionäre Subjekt sei, Volk oder Guerilla? Vor anderthalb Jahren war beschlossen worden, das Thema einer Kommission zu übergeben, die eine schriftliche Selbstkritik verfassen sollte, über die beim jetzigen Kongreß abgestimmt werden sollte. Doch zu einer Abstimmung kam es nicht - vermutlich, um eine Spaltung zu vermeiden; denn innerhalb der Tupamaros bestehen über die Gründe des Scheiterns zwei verschiedene Meinungen, die im Moment nicht unter einen Hut zu bringen sind: Die einen - unter ihnen Raul Sendic - machen die Übermacht des Feindes für die Niederlage verantwortlich und nicht eigene ideologische Defizite; die MLN solle auch in Zukunft den bewährten Charakter einer Bewegung beibehalten und die Finger von leninistischen Strukturen lassen; man solle sich bei der theoretischen Arbeit auf die Analyse der derzeitigen Gesellschaft konzentrieren und die Friedhofsruhe durch eine Mobilisierung der Massen durchbrechen. Die Mehrheit der MLN dagegen will zwar den Charakter einer populären Bewegung beibehalten, kritisiert aber ideologische Mängel von damals, die sie jetzt mit leninistischen Prinzipien beheben will; für sie muß sich die MLN in eine Avantgarde der Arbeiterklasse verwandeln; die letztere ist im klassischen marxistischen Sinn das revolutionäre Subjekt und nicht etwa andere ausgebeutete Kreise der Gesellschaft. Die Parole lautet nun: Schulung, Verankerung und Mitgliederwerbung. Mitgliederschwund An dem Treffen im Dezember 85 hatten 1.200 Leute teilgenommen, die sich der Bewegung MLN zugehörig fühlten. Zu dem jetzigen Kongreß waren neben den Mitgliedern des alten Zentralkomitees etwa 250 Delegierte zugelassen. Da ein Delegierter drei aktive Mitglieder repräsentiert, entspricht ihre heutige Stärke nur noch 800 organisierten Tupamaros, ein Mitgliederschwund von 400 Leuten innerhalb von 18 Monaten. Viele von ihnen seien ins Privatleben abgedriftet, sagt Alba Antunez vom Exekutivkomitee. „Kaum jemand ist aus gravierenden politischen Differenzen aus getreten, aber nach 13 Jahren Knast widmen sich jetzt viele ihren Familien, den Kindern, den Ehepartnern. Ich war, als ich gefangen wurde, 20 Jahre alt, da stand für mich ein Kind nicht auf der Tagesordnung. Heute mit 35 sieht das anders aus.“ Und schließlich machen auch ganz banale Probleme wie Arbeits– und Wohnungssuche den ehemaligen Guerilleros zu schaffen. Zur Zeit ist die MLN hauptsächlich mit eigenen Problemen beschäftigt, das Werben neuer Mitglieder scheint ihr dabei noch nicht so wichtig. Sie hat sogar organisatorische Schwierigkeiten, die jungen Leute, die an ihre Türen klopfen, in Schulungskursen unterzubringen. Tupamaros, das ist bis heute in Montevideo ein Mythos. Nicht nur, weil sie als Stadtguerilla in der Illegalität gekämpft haben, sondern weil sie auch noch während der Diktatur, als sie längst darnieder lagen, vom Regime verteufelt wurden. Viele Jugendliche rebellierten gegen die Militärs mehr gefühls– als verstandesmäßig unter dem Motto: Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde - so begannen sie, die „Subversiven“ zu bewundern. Die meisten uruguayischen Jugendlichen interessieren sich heute eher für Drogen, Computer und schnelle Autos als für die kubanische Revolution. Sie sind nach zwölf Jahren Militärdiktatur weitgehend entpolitisiert. Auch die Sprachregelung ist heute anders. „Es sind nicht nur Worte verschwunden, sondern auch Konzepte“, sagt Luis Rosadilla vom Exekutivkomitee, es ist schwierig, heute noch das Wort Revolution zu benutzen. Stattdessen wird Auseinandersetzung oder Kampf benötigt, und das ist kein Zufall, sondern entspricht dem allgemeinen Rückzug auf ideologischem Gebiet.“ Die historischen Führer der Tupamaros sind heute zwischen 50 und 65 Jahre alt. Im Gegensatz zur traditionellen Linken, die kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlockt, kommen zu den Veranstaltungen der MLN immer noch Tausende, vor allem die Kids. Im April des vergangenen Jahres füllten sie ihr Stadion ohne größere Mobilisierung mit 10.000 Anhängern und Neugierigen. Im Dezember waren es sogar 25.000, die erschienen. Vor einem Jahr hat die MLN den Eintritt in die Frente Amplio (Breite Front) beantragt. „Dort wollen wir über den Unterschied diskutieren, an der Regierung oder an der Macht zu sein“, so Alba Antunez. In dem parlamentarischen Mitte–Links–Bündnis haben sich Kommunisten, Sozialisten, Christdemokraten und unabhängige Linke zusammengeschlossen. Der Antrag schmort bis heute in den Gremien, die Christdemokraten - so heißt es - haben ihr Veto eingelegt. Die Frente Amplio schielt schon heute auf die Wahlen im November 1989 und hat bis dahin die Parole ausgegeben: stillhalten und Konflikte vermeiden, um keine Stimmen zu riskieren. Die einzige ernsthafte Auseinandersetzung der Linken mit der Regierung ist das Referendum, das Unterschriftensammeln gegen das Amnestiegesetz für Polizei und Militär. Von den benötigten 550.000 Unterschriften sind inzwischen fast eine halbe Million zusammengetragen worden. Teile der Frente Amplio hatten sich der Kampagne zunächst nur halbherzig angeschlossen. Man hatte daran Anstoß genommen, daß es die Tupamaros waren, die dazu aufgerufen hatten.