Kissinger und Argentiniens schmutziger Krieg

■ Nach dem Militärputsch von 1976 wurden in Argentinien Tausende von Oppositionellen ermordet. Bisher geheime Dokumente weisen darauf hin, daß der damalige US–Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger grünes Licht zum Massenmord gab

Aus Montevideo Gaby Weber

Bisher geheime Dokumente über die Beteiligung von Henry Kissinger am „schmutzigen Krieg“ der argentinischen Militärjunta wurden am Wochenende von der New Yorker Zeitschrift Nation und zugleich als Vorabdruck in Buenos Aires und Montevideo veröffentlicht. Aus Fernschreiben und Aktenvermerken des State Department und der US–amerikanischen Botschaft in Buenos Aires geht hervor, daß Kissinger seinem argentinischen Kollegen grünes Licht für die Ermordung von tausenden linken Regimegegnern gab. Am 10.6.76, also drei Monate nach dem Militärputsch gegen Isabel Peron, fand in Santiago de Chile am Rande der 6. Generalversammlung der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) ein Treffen zwischen Kissinger und seinem argentinischen Kollegen Guzzetti statt. Bei der OAS–Tagung standen vor allem die Menschenrechte auf der Tagesordnung. Guzzetti war ein glühender Verteidiger des „schmutzigen Krieges“: „Meine Konzeption von der Subversion bezieht sich auf die linken Terrororganisationen. Subversion und der Terror von rechts sind nicht dasselbe. Wenn der soziale Körper eines Landes von einer Krankheit vergiftet wird, die sich durch seine Eingeweide frißt, bilden sich Antikörper. Diese Antikörper dürfen nicht mit den Bakterien verwechselt werden“. Drei Wochen vor dem OAS– Treffen in Santiago hatte der US– Botschafter in Buenos Aires, Roberto Hill, Kissinger auf die sich täglich verschlechternde Situation der Menschenrechte hingewiesen. „Ein Wort des US–Ministers hätte Eindruck auf die Generäle gemacht“ - so die New Yorker Nation. Zu diesem Zeitpunkt, drei Monate nach der Machtergreifung der Militärs, waren bereits über tausend Oppositionelle ermordet worden, schätzt die Menschenrechtsorganisation CELS. „Die Argentinier waren besorgt über die Möglichkeit, daß Kissinger seinen Blick auf die Menschenrechte richten würde“ - heißt es in den jetzt veröffentlichten Aktenvermerken von Beamten des State Departement bezüglichdes Gespräches mit Hill über das Treffen im Hotel Carrera in Santiago - „Guzzetti und Kissinger frühstückten lange, aber Kissinger sprach das Thema nicht an. Schließlich tat es Guzzetti. Kissinger fragte, wie lange sie noch brauchen würden, um mit dem Problem fertig zu werden. Guzzetti antwortete, daß Ende des Jahres alles erledigt sei. Kissinger war einverstanden“. Schon drei Wochen nach diesem Gespräch ging das Regime daran, „mit dem Problem fertig zu werden“. Statt des bis dahin praktizierten Terrors gegen einzelne Oppositionelle wurden nun Gefangene massenweise ermordet. Ende des Jahres 1976 war die Anzahl der Verschwundenen auf mehrere tausend angestiegen. Die Briefe, die US–Botschafter Hill damals an die Carter–Administration sandte, lassen der Nation zufolge keinen Zweifel daran, daß er Kissinger persönlich für den Mord an Tausenden von Regimegegnern verantwortlich machte. US–Botschafter Hill hatte den Putsch der Militärs heftig begrüßt. Für den ehemaligen Direktor der United Fruit Company und Fachmann in „dirty tricks“ war der „schmutzige Krieg“ der argentinischen Junta aber offensichtlich außer Kontrolle geraten. Im September 76 schickte er einen Vermerk nach Washington, in dem er dringend empfahl, gegen einen neuen Kredit der Interamerikanischen Entwicklungsbank an Buenos Aires zu stimmen. Der Vermerk landete auf dem Schreibtisch von Kissingers rechter Hand, Shlaudeman, der ihn von Kissingers längst getroffener, positiver Entscheidung für den BID– Kredit unterrichtete. Hill ist in den siebziger Jahren gestorben, der ehemalige argentinische Außenminister Guzzetti ist aufgrund einer Kopfverletzung gelähmt. Die Unterstaatssekretärin für Menschenrechte der Carter–Administration, Derian, bestätigte die Authentizität der veröffentlichten Dokumente und erklärte, sie habe angesichts der Rolle Kissingers „Ekel verspürt“. Der Friedensnobelpreisträger selbst mochte sich - so „Nation“– Journalist Andersen - zu den damaligen Geschehnissen nicht äußern. Sein Sprecher Vick teilte mit, daß „sich Kissinger an die Ereignisse der Jahre 75/76 nicht mehr viel erinnert“ und bestätigte Kissingers Teilnahme an der OAS–Tagung in Santiago. In seinem Vortrag hatte Kissinger damals vor den Teilnehmern kundgetan: „Eines der brennendsten Probleme unserer Zeit, das das gemeinsame Handeln aller Menschen und verantwortlicher Staaten erfordert, ist die Notwendigkeit, die fundamentalen Rechte der Menschheit zu schützen.“