Ein Leben voller Kampf und Tanz

■ Trauerzug für den ums Leben gekommenen Aydin „Yavuz“ Erol / Der Getötete hatte Freunde in vielen türkischen und kurdischen Exilorganisationen / Viele Freunde und Kampfgefährten nahmen Abschied

Hamburg (taz) - Schreckensstumm treffen sie an diesem kalten Sonntag vormittag an der Sternschanze zusammen: politische Weggefährten aus der Türkei und aus dem europäischen Exil, Flüchtlinge, die mit seiner Hilfe ihren Verfolgern entkommen konnten, einige Deutsche, die mit ihm für eine multikulturelle Gesellschaft kämpften, Kolleginnen, die mit ihm tanzten, Freundinnen und Freunde - insgesamt mehrere hundert Menschen, die dem vor zehn Tagen erschossenen Aydin „Yavuz“ Erol das letzte Geleit durch sein Viertel geben. Redebeiträge auf Türkisch und Deutsch zeichnen das ungewöhnlich erfüllte Leben des 31jährigen nach: Mit 13 erste Festnahme durch die Polizei, Ausbildung in klassischem Tanz an den Staatsopern von Ankara und Istanbul, nachts nach den Bühnenauftritten Verteidigung der Slums gegen faschistische Überfälle, Festnahme und Folter nach dem Putsch, Flucht ins Ausland, radikale Ein wandererpolitik in seinen Exilländern und Solidaritätsarbeit für den Freiheitskampf in der Türkei und Kurdistan, Wiederaufnahme seiner tänzerischen Karriere. Sie müssen den „Ballett– Aydin“ geliebt haben, seine Genossinnen und Genossen von Dev Yol, die seinen Namen geradezu zärtlich ausrufen, die im Nachruf schrieben, er sei unter ihnen „wie eine Rose in der Wüste“ gewesen. Die sich an die Haftzeit erinnern, als er auch unter der Folter schwieg und seine Genossen in den Zellen mit seinem unvergleichlichen Lachen hoffnungsfroh stimmte. Und die Hunderte, vielleicht Tausende von Flüchtlingen aus verschiedenen Organisationen, Familien und illegale Kampfgruppen, die mit seiner Hilfe über die Grenzen geschleust wurden, und die gestern persönlich oder durch Verteter ihrer Gruppen von ihm Abschied nahmen. „Er hatte zur Politik das gleiche Gefühl wie zur Kunst“, beschrieben zwei Tänzerinnen die Lebens linie ihres Lehrers und Freundes. Wer je mit Aydin Erol in der Dunkelkammer, am Lichttisch, im Übungsraum zusammenarbeitete, im politischen Leben zusammentraf, spürte diese künstlerische Energie, diese Leichtigkeit, mit der er seinen vielfältigen Aufgaben nachging. In wenigen Tagen sollte in Hamburg ein Ballettstück mit Texten des türkischen Dichters Nazim Hikmet Premiere feiern, das unter seiner choreographischen Leitung stand. Wie eine dunkle Ahnung klingt im Nachhinein eins jener Gedichte, das er in Gedanken an seine Heimat tanzen wollte: „Genossen, wenn ich jenen Tag nicht mehr sehe,/ sollte ich also, eh unser Tag kommt, tot sein,/ Tragt mich nach Anatolien, grabt mich/ Auf einem Dorffriedhof ein.“ kg