„Das schadet uns nur“

■ Der Tod der Polizisten ist mit der bisherigen Militanz nicht zu erklären, meinen Aktivisten in Frankfurt / „Ziel nicht Verhinderung der Startbahn, sondern Kommunikation zwischen politischen Gruppen“

Frankfurt (taz) - Aktivisten der „Anti–Startbahn–Bewegung“, vor allem „Autonome“ und „Anarchos“, gehörten am frühen Dienstag morgen zu den gesuchtesten Zeitgenossen der Republik. Im „Libertären Zentrum“ hatte die Polizei schon kurz nach Mitternacht mit einem Großaufgebot die Suche aufgenommen. Beamte traten die Türe ein, fanden aber niemanden vor. Als Organisations– und Diskussionszentrum der „autonomen Linken“ stand das „Libertäre Zentrum“ schon während der Auseinandersetzungen nach dem Tod von Günter Sare im Mittelpunkt staatlichen Interesses. Nach dem Abflauen der großen Anti–Startbahn–Proteste im Frühjahr 1982 bildeten ortsansässige Bürger und Autonome Gruppen den Kern der sonntäglichen Spaziergänger zu der im April 1984 eingeweihten „Startbahn West“. Über die Jahre hinweg etablierte sich ein Ritual zwischen Spiel und Protest, Folklore und Militanz. Während die Flughafen–Auseinandersetzungen politisch nicht einmal mehr bei den Grünen eine Rolle spielten, die nicht zuletzt „wegen Startbahn West“ 1982 in den Landtag gewählt wurden, gerieten die andauernden Demonstrationen „zur Mauer“ zum Fokus einer eigenartigen „Widerstandskultur“. „Eigentlich ist das Ziel gar nicht mehr die Verhinderung der Startbahn, weil das unmöglich geworden ist, sondern die direkte Kommunikation zwischen verschiedenen Schichten, Generationen und politischen Gruppen“, sagt einer aus der „Szene“. Immer noch machen Frauen aus Mörfelden–Walldorf ihren Kuchenstand sonntags an der Startbahn–Mauer, hinter der die Jets in Richtung Süden starten. Und immer noch beschimpfen ältere Bürger die Polizisten, die bei Ausfällen knüppelschwingend Autonome verfolgen. Die wiederum haben einen „Level von Militanz“ etabliert, der „auch in den letzten Wochen und Monaten in keiner Weise eskaliert“ sei, wie versichert wird. „Die Demo zum sechsten Jahrestag der Hüttendorfräumung war das Übliche. Das ist doch auch Pfadfindertum, scheinbare Radikalität hinter den schwarzen Masken. Wenn die Bullen angerannt kommen, rennen doch alle weg. Da wird letztlich eine imaginäre Linie verteidigt.“ Zugleich beharrt der „Autonome im Gespräch auf der politischen Bedeutung jener praktischen Kommunikation“, die uns als Bewegung die Möglichkeit gibt, mit anderen Leuten was zu tun zu haben. Das schafft eine Struktur, die sich auch im Austausch mit anderen Widerstandsbewegungen, etwa in Wackersdorf, bewährt.“ Das klingt militärischer, als es gemeint ist. Die „Startbahn“, das scheint eine Art seelisches Zentrum der radikalen Linken zu sein, die jetzt wieder fürchten, daß altkluge Linke und Linksliberale „Scheiße reden und den Bewegungen eins reinwürgen“ wollen. Die Frage sei doch, wem der Mord an den zwei Polizisten nütze und wem er schade. „Uns natürlich“, lautet die spontan sichere Antwort, denen, „die in der jetzt ausbrechenden Diskussion ein revolutionäres Interesse artikulieren.“ Die Version, ein agent provocateur habe die tödlichen Schüsse abgegeben, wird da plausibel: „Denen traue ich alles zu, nach dem „Celler Loch“ und den Erfahrungen mit Molliswerfenden Provokateuren an der Startbahn. Da gibts viele Beispiele.“ Andererseits „ist auch nicht auszuschließen, daß da jemand durchgeknallt ist. Aber wir können schließlich nicht jeden vor ner Demo nach Waffen durchsuchen“. Es liege völlig jenseits des politischen Interesses und auch der Bewegungsdynamik des übriggebliebenen Startbahn–Protests, daß jetzt zwei Polizeibeamte tot seien. Es gibt zwar „individuellen Haß, kein Wunder bei diesem phantastischen Leben“, aber da in der Szene eigentlich jeder jeden kenne, sei es im Grunde ausgeschlossen, daß das „Leute aus der Bewegung“ waren. Auch ein anderer, der am Montag abend dabei war, kann sich diese mörderische Eskalation nicht als Konsequenz aus der bisherigen Militanz erklären. Der „Schutz“ von Demonstrationen auch mit Barrikaden und Stacheldraht habe sich längst eingebürgert; auch Steine und Zwillen seien „nichts Neues“. Daß am Montag im Mörfeldener Wald etwas ganz Neues passiert ist, will niemandem in den Kopf. So überlegt man noch am Dienstag mittag, ob der nächste „Sonntagsspaziergang“ an der Startbahnmauer - und wenn, wie - stattfinden soll. Reinhard Mohr