Abhöraffäre: Zuviele Wanzen nach Athen getragen?

■ Jeder hört jeden ab und der Geheimdienst alle zusammen / Papandreou ernennt notorischen Telefonabhörer zum Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses

Aus Athen Georg Schwarz

Nach einer stürmischen Debatte kamen die Parlamentsabgeordneten zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Private Telefongespräche kommen in Griechenland aufgrund der hohen Abhörquote öffentlichen Diskussionen gleich. Im großen Abgeordnetensaal wurde klar, daß das zentrale Telefonamt, wenn nicht auf Befehl der regierenden Sozialisten, so doch zumindest mit ihrer Duldung, sowohl die Gespräche der Oppositionspolitiker als auch der Regierungsmitglieder abhören läßt. Die konservative Oppositionspartei Nea Demokratia mochte da nicht zurückstehen, und so erklärte ihr Vorsitzender Konstantin Mitsotakis, daß auch er die Gespräche von Parlamentariern aus den eigenen Reihen kontrolliert. Schließlich erfuhren die Volksvertreter, daß Geheimdienste brave Bürger, Journalisten, Parteien und Gewerkschaften hemmungslos überwachen - ein „Orwellscher Staat“, wie das linke Politmagazin anti kommentierte. Abhöraffären sind in Griechenland nichts Neues. Was die jetzige Affäre zum Skandal machte, war hingegen die Einsetzung bislang ungewohnter Technik. Anfang Oktober hatte Mimis Androulakis, Politbüromitglied der moskauorientierten KP Griechenlands (der KKE) einen hohen Funktionär der eurokommunistischen „Griechischen Linken“ (EAR), Petros Kounalakis, angerufen. Die beiden hatten sich über die letzten Einzelheiten der gemeinsamen Aktion gegen das bestehende Wahlsystem unterhalten. Die Forderung nach einem gerechteren Wahlsystem ist in letzter Zeit zum brisantesten politischen Gesprächsthema gewor den. Sie vereint die gesamte Opposition. Einige Stunden nach diesem Gespräch erhielt der Eurokommunist Kounalakis einen Anruf von der Zentrale der KKE. Eine Dame teilte ihm mit, ein Tonbandgerät gebe gerade in der Telefonzentrale der KKE sein morgendliches Gespräch mit Androulakis wieder. Das verrückte Gerät ließ außerdem eine Diskussion des KKE–Vorsitzenden Florakis mit Journalisten ertönen. Die Telefongespräche der kommunistischen Funktionäre waren also nicht nur mitgehört, sondern auch gespeichert worden. Dieser neuartige Vorgang empörte die Gemüter. Als Koulanakis dann noch feststellte, daß sein Privattelefon mit den Zentralen der KKE und der „Griechischen Linken“ verflochten war, war der Skandal perfekt. Während ihrer Debatte Ende Oktober konnten sich die Abgeordneten jedoch nicht darüber einigen, wer für die Lauschaktionen verantwortlich zeichnet. Während die Konservativen die Regierung als Hintermann verdächtigen und die Abhörzentrale im 15. Stock des Ministeriums für Öffentliche Ordnung geortet haben wollen, machen die beiden kommunistischen Parteien die Geheimdienste dafür verantwortlich. In sechs Jahren sozialistischer Regierung, so die Kommunisten, sei es nicht gelungen, die Geheimdienste unter Kontrolle zu bekommen. Im Gegenteil. Die prokommunistische Zeitung Proti enthüllte, die Geheimdienste seien in den letzten drei Jahren mit 100.000 speziellen Tonbandkassetten sowie 1.600 hochmodernen Abhörapparaten versorgt worden. Die sozialistische Regierung reagierte, wie man reagiert, wenn man sich etwas vom Halse schaffen will: sie richtete eine Ermittlungskommission ein. Zum Vor sitzenden dieser Kommission wurde der Direktor des staatlichen Telefonamtes, Theophanis Tombras, ernannt. Der Bock als Gärtner Teophanis Tombras ist für die griechische Öffentlichkeit kein unbeschriebenes Blatt mehr: Vor dem Wahlsieg der Sozialisten war er Offizier des griechischen Geheimdienstes. Nach 1982 baute er als Direktor des Telefonamts eine Dienststelle „zum Schutz des Telefongeheimnisses“ auf und ließ ausgerechnet von dort Telefone abhören. Auf die heftige Kritik an seiner Funktion als Vorsitzendem reichte er eine Verleumdungsklage gegen Unbekannt ein. Die regierenden Sozialisten, derart in Zugzwang gebracht, kamen schließlich der Forderung der Opposition nach und billigten am 16. Oktober die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Tombras bleibt jedoch bis auf weiteres Direktor des griechischen Telefonamtes. Und der 30köpfige Parlamentsausschuß darf alles untersuchen, nur nicht die Aktivitäten der Geheimdienste. Deren Aufgabe sei es, die nationale Sicherheit zu schützen, erklärte Premier Andreas Papandreou vor dem Parlament, und deshalb könnten sie keinesfalls einer Kontrolle unterzogen werden. Unterdessen ist ein neuer Skandal aufgedeckt worden: Das satirische Magazin Kalami veröffentlichte die auf Tonbänder gespeicherten Gespräche des früheren Staatspräsidenten Konstantin Karamanlis, die er 1985 mit Politikern geführt hat. Kurz danach erschien das linke Politmagazin Pontiki mit der Schlagzeile: „Exklusiv: Telefon ohne Wanzen entdeckt!“