Getrennte Wege an der Startbahn West

■ Das Plenum der Bürgerinitiativen in Mörfelden–Walldorf fand ohne Bürger statt

Betroffenheit und Distanzierung waren die ersten Reaktionen auf die tödlichen Schüsse an der Startbahn West, denen zwei Polizeibeamte zum Opfer fielen. Reaktionen, die die beiden Fraktionen der Startbahngegner zu einen schien. Zwei Wochen später kommt der Riß zwischen den Autonomen und den Bürgern wieder zum Vorschein: Die Bürger der Region boykottierten am vergangenen Freitag das Plenum sämtlicher Startbahn–Bürgerinitiativen, die Autonomen blieben nahezu unter sich.

Als sich am vergangenen Freitagabend im Bürgerhaus von Mörfelden der Saal zu füllen begann, war klar, daß zur großen Versammlung der „Bürgerinitiative gegen die Flughafenerweiterung“ nicht die Bürger gekommen waren, sondern fast ausschließlich der „autonome“ Teil der Anti– Startbahn–Bewegung, auch wenn die „bürgerliche“ Pressesprecherin der BI, Helga Arnold, am Podium Platz genommen hatte. Was sich dann in den folgenden drei Stunden abspielte, offenbarte jene politischen Abgründe, über die in der schließlich verabschiedeten Resolution der Mantel scheinbarer Gemeinsamkeit gebreitet wurde. Nachdem Michael Wilk, Sprecher des Wiesbadener Aktionskreises Umwelt (AKU), noch einmal den vermeintlichen Grundkonsens der Militanten vorgetragen hatte - „Die Schüsse kommen nicht von der Bewegung“ -, wurde ein Beitrag verlesen, in dem mit keinem Wort auf die beiden Polizistenmorde eingegangen, dafür ausführlich Repression und Propaganda der „Herrschenden“ referiert und „eingeschätzt“ wurde, die nun die „Gunst der Stunde“ zu Medienhetze und Verfolgung nutzten: Eine Blutspur staatlicher Gewalt ziehe sich von der Ermordung Rosa Luxemburgs bis zum Tod von Günter Sare. Die darauf einsetzende, schweigende Betroffenheit durchbrach erneut Michael Wilk, indem er darauf hinwies, daß es „zwei Linien“ staatlicher Reaktionen gebe: die harte der Bundesanwaltschaft und die „weiche“, die etwa der Hamburger Verfassungsschützer Lochte, aber auch der Grüne Joschka Fischer vertrete. Im übrigen lenke die „Gewaltfrage“ nur von den eigentlichen Zielen ab. Die Herrschenden fürchteten den „emanzipativen Charakter der Bewegungen“, die selbst handele und denke: „Vordergründig geht es um Zwillen, in Wirklichkeit aber gegen die außerparlamentarische Bewegung.“ Diese Verbindung zum Deutschen Herbst stellte der nächste, wiederum verlesene Beitrag her, den ein Mitglied des „Libertären Zentrums“ Frankfurt mit der warnenden Bemerkung ankündigte, er werde gegen jede auszugsweise Wiedergabe des Textes „mit rechtlichen Schritten“ vorgehen. Danach folgte eine ausgreifende Darstellung des Anti–Startbahn– Kampfes, der voller „Niederlagen, Demütigungen und Eskalationen der Staatsgewalt“ gewesen sei. Mehrfach habe es Situationen gegeben, in denen der Wunsch nach einer Pistole stark gewesen sei - bei lebensgefährdenden Prügelorgien von Polizei–Einheiten. Seine Schilderung der gesellschaftlichen (Gewalt–)Verhältnisse kulminierte in der Frage: „Was ist eine Zwille gegen gepanzerte Vorstandsinteressen?“ Daher sei eine „Abrüstung“ der Bewegung eine verlogene Forderung, die die Wirklichkeit ignoriere: „Die beiden Polizisten haben im Spannungsfeld zwischen Profitinteressen und menschlichen Lebensinteressen ihr Leben verloren.“ Die Gewalt könne erst dann ein Ende haben, wenn die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft verwirklicht sei. Daher sei auch verständlich, daß „das faule Staatsgerüst“ auch „faule Auswüchse“ auf der „anderen Seite“ produziere: „Nicht jeder ist mit der nötigen Weitsicht und verinnerlichten Menschlichkeit gesegnet, die es im Kampf um die Emanzipation braucht.“ Eine gespenstische Situation entstand, als ein Diskussionsredner „Mord“ einen „bürgerlichen Begriff“ nannte und andere auch das Wort „Distanzierung“ zur Kampfvokabel der Gegenseite erklärten und eine „politische Beurteilung“ der Todesschüsse forderten. „Das Ding war ein totaler Fehler“, sagte eine Frau, die sich gleichwohl „die Zukunft nicht schußfrei“ vorstellen konnte. Von revolutionärer Verantwortung des Kollektivs war die Rede und der prinzipiellen Unzuständigkeit der bürgerlichen Justiz. Plötzlich schienen die Schüsse - wie falsch und unzeitgemäß auch immer - doch aus „der Bewegung“ zu kommen. Damit war der Punkt erreicht, an dem Michael Wilk die Reserve verließ und klarstellte: „Dieser Mord war eine Sauerei!“ Die politische Verantwortung bestehe darin, zu fragen, wieviele „Selbstläufer“ es in der Szene gebe, ob das „politische Milieu“ bestimmte Automatismen erzeuge, welche Irrationalitäten es hervorbringe. Achim Bender, Aushängeschild der militanten Startbahngegner in der BI, forderte die „Befürworter des bewaffneten Kampfes, die in diesem Saal wohl keine schwache Gruppe sind“, auf, Tacheles zu reden. Das Schweigen im Saale drückte sich in vielen Worten aus. Von offener Diskussion keine Rede. Man vertagte sich. Vielleicht wird beim nächsten Mal die Frage jener autonomen Frau beantwortet, die dieses Mal im Schweigen unterging: „Wie konnte einer unter uns zum Mörder werden?“ Reinhard Mohr