„Ich bin der Teufel, das schwarze Schaf“

■ Mit mehrjähriger Verspätung soll eine bundesdeutsche Delegation die umstrittene „Colonia Dignidad“ inspizieren / Noch hoffen Genschers Vertrauensmänner auf eine Besuchserlaubnis / Psychologe Salewski soll den Sektenführer analysieren

Aus Santiago Gaby Weber

Seit Sonntag befindet sich eine bundesdeutsche Delegation in der chilenischen Hauptstadt, die die Vorwürfe gegen die „Colonia Dignidad“ untersuchen soll. Die „Kolonie der Würde“ wird von ihren Freunden in der CSU und der chilenischen Militärregierung als „Mustergut“ und „deutsche Aufbauleistung“ gefeiert. Von Amnesty International wird sie seit über 10 Jahren als „Folterzentrum des chilenischen Geheimdienstes“ angeklagt. Und nach den jüngsten Veröffentlichungen im WDR und im Stern ist nun auch das Auswärtige Amt mißtrauisch geworden - was schon vor zehn Jahren hätte passieren müssen: Genscher persönlich suchte jetzt acht Delegationsmitglieder aus - allesamt Männer seines persönlichen Vertrauens, die jeden Kontakt mit Journalisten meiden sollen wie der Teufel das Weihwasser. An der Spitze der Delegation stehen Johannes Marre, früherer Botschafter in Montevideo, Bischof Emil Stehle von Adveniat, ein Ministerialdirektor und Genschers Pressereferent aus dem Außenministerium, je ein Vertreter aus dem Justizministerium des Bundes und des Landes Nordrhein–Westfalen und ein Vertreter des Roten Kreuzes. Mit von der Partie ist auch der Polizeipsychologe Salewski, der in München ein eigenes Institut hat und daher als „unabhängig“ gehandelt wird. Salewski hat in der Vergangenheit wiederholt mit dem Bundeskriminalamt zusammengearbeitet, zum Beispiel 1972 während der Olympischen Spiele in München und 1977 in Mogadischu. Er soll, so heißt es, ein Psychogramm von Dignidad–Chef Schäfer erstellen. Wahrscheinlich verspricht sich das Außenministerium von ihm, daß er die vermuteten Gehirnwäschepraktiken und Drogeneinflüsse diagnostizieren kann - für den Fall, daß ein Besuch bei der Kolonie zustandekommt. Aber auch Salewskis Kontakte zur chilenischen Polizei sollen nicht zu verachten sein. Ziel der Reise ist die Kontaktaufnahme mit der Leitung von Dignidad und ein Besuch der Kolonie, um die Vorwürfe an Ort und Stelle im Gespräch mit den etwa 350 Insassen persönlich zu überprüfen. Doch allen Vorsondierungen zum Trotz wurde der Besuch abgelehnt. Angesichts der konservativen Zusammensetzung der Delegation konnte man dieses Mal nicht auf die Standard–Argumente zurückgreifen (“Feinde der Dignidad“, „Vorurteile“, „politische Absichten“ etc.). Statt dessen verwies Direktoriumsmitglied Hermann Schmidt auf eine Vollversammlung innerhalb der Kolonie, bei der alle Erwachsenen einstimmig den Besuch der Delegation abgelehnt hätten. „Wir wissen nicht, was Sie untersuchen wollen“, so Schmidt, „Sie wissen doch, daß alles, was man über uns sagt, Lügen sind. Der Botschafter hat alles gesehen, und wenn man dem nicht glaubt, wozu schickt man dann die Leute hierher?“ Ein Empfang der Delegation sei als Affront gegen die chilenische Regierung zu interpretieren, was man vermeiden möchte. Doch das Regime betont, die Kommission bestehe aus Privatleuten, und den Besuch der Kolonie müßten die Deutschen unter sich regeln. Man werde sich nicht einmischen. Die deutsche Botschaft versucht derzeit, sowohl die chilenische Regierung als auch die Dignidad–Führung vom Sinn einer Inspektion zu überzeugen. Und noch besteht unter den Mitgliedern der Delegation Optimismus. Aber wie politisch zu reagieren sei, wenn man wie dumme Jungs wieder nach Hause unter den Christbaum geschickt werde, weiß niemand zu beantworten - oder will es nicht. Während die bundesdeutsche Delegation noch auf eine Besuchsgenehmigung hofft, rührt die regierungsnahe Tageszeitung Mercurio die Werbetrommel für die Schäfer–Leute. Auf zwei Seiten veröffentlichte sie vor kurzem eine exklusive Reportage über „Villa Baviera“, wie sich die Dignidad–Gruppe inzwischen nennt. „Sie sind anders als wir“, daran kommt auch die Mercurio–Reporterin nicht vorbei, denn man sei altmodisch, kleide sich anders und führe ein anderes Leben. Es werde rund um die Uhr gearbeitet. Freizeit oder Entlohnung gibt es nicht. „Es gibt eine Deformation des modernen Menschen, der denkt, nach acht Stunden Arbeit hat er die Verpflichtung, sich auszuruhen und zu erholen“, rechtfertigt Dignidad–Sprecher Hartmut Hopp die Arbeit bis zur physischen Erschöpfung. „Die Arbeit muß Ziel des Lebens eines Menschen sein.“ Paul Schäfer, die graue Eminenz der Kolonie, stellte sich der Reporterin mit den Worten vor: „Ich bin der Teufel, das schwarze Schaf.“ Danach dirigierte er seinen Männerchor. Religiös ist man heute nicht mehr, obwohl Schäfer seine Karriere als Prediger begann. Doch mit dem Christentum habe man schon lange nichts mehr im Sinn, und die Christus–Bilder sind wohl gegen die von Franz–Josef Strauß ausgetauscht worden, die die „Villa Baviera“ geradezu überschwemmen, wie selbst die Mercurio–Journalistin nicht übersehen konnte. „Ich bin Bayer“, erklärte Schmidt dazu. „Wir haben alle eine besondere Wertschätzung für ihn, weil er ein Mann der Wahrheit und des Wertes ist. Er ist wie Pinochet.“