Orgiastisches Jubilieren der Elektronik

■ Der Soziologe Krämer–Badoni verteidigte auf einer Tagung die Spielhalle als Treffpunkt junger Erwachsener / Restriktive Politik gegen Spielhallen zielt auf die Vertreibung ihrer Benutzer aus der Innenstadt / Schutz der Arbeitslosen vor Automaten statt vor Arbeitslosigkeit?

Von Thomas Krämer–Badoni

„Spielhallen - Ein Problem für die Städte“ hieß das Motto einer Tagung des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIFU). Der Bremer Soziologie–Professor Thomas Krämer–Badoni referierte dort eigene Erfahrungen aus sechswöchigen regelmäßigen Spielhallen–Besuchen. Wir dokumentieren seinen - um den theoretischen Teil gekürzten - Vortrag: Zunächst ist festzustellen, daß es zwei unterschiedliche Typen von Spielhallen gibt, die sich hinsichtlich ihrer sozial–räumlichen Lage, der innenarchitektonischen Inszenierung und der Ausstattung erheblich unterscheiden. Ich möchte sie die traditionelle und die neue Spielhalle nennen, wobei wohl als zeitliche Trennmarke das Inkrafttreten der neuen Spielverordnung gelten kann. Die traditionelle Spielhalle ist in typische Nachbarschaften integriert: Video–Shops, Sex–Läden, Peep–Shows, bahnhofstypischer Handel, zwielichtige Kinos, Imbisse, Kioske, Fast–food–Ketten– Läden und anderes. Sie ist meistens Bestandteil der Ausstattung des klassischen „red–light–districts“. Dabei können die oberen Stockwerke dieser Gebäude durchaus bürgerlich–seriös belegt sein: In Bremen z.B. ist in einem solchen Gebäude die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung untergebracht. Dem sozialräumlichen Milieu entspricht auch die innenarchitektonische Gestaltung: Es ist eine Choreographie der obszönen Intimität. Sie beginnt mit der bewußten Nicht–Einsehbarkeit von außen, die evtl. gerade noch den Blick auf ein Spielgerät und vielleicht auf das Personal erlaubt. Es geht weiter mit der zwielichtigen Beleuchtung, die den Besucher empfängt und relativ isoliert. Er kann die anderen Besucher nur mit Anstrengung genau erkennen und genießt selber den Schutz der Dunkelheit. Es geht weiter mit der Verteilung der Spielautomaten auf Kabinen mit jeweils zwei bis drei Geräten (natürlich auch als Folge der ursprünglichen Rechtslage), mit Sichtblenden, Spiegel– oder Falttüren - all dies garantiert Schutz, Privatheit, Heimlichkeit, die Möglichkeit, ungesehen und unerkannt einem Laster nachzugehen, das manchem den Schweiß auf die Stirn treibt. Die häufig in den Kabinen angebrachten Klingelknöpfe für „Kaffee“ (den es ja umsonst gibt) oder „Geldwechseln“ ergänzen diese Intimität, zu der nur das neutrale Personal Zutritt hat. Nur die Automatengeräusche, die Lust und Unlust, Aufsteigen und Absteigen der Serien signalisieren, setzen sich in der Halle über die Intimität hinweg wie die andauernde koitale Geräuschkulisse eines Pornofilms. Das Stöhnen und Jauchzen der Apparate, die nervöse akkustische Ankündigung des Glücks, das orgiastische Jubilieren der Elektronik versichern dem Spieler, daß er nicht alleine seiner zwielichtigen Tätigkeit nachgeht. Das Ganze die abgestimmte Inszenierung einer heimlichen, obszönen Welt. Die Innenausstattung dieser Hallen ist karg, das Etablissement beschönigt nicht, worum es geht. Es gibt kaum andere als Geldspielgeräte, gelegentlich stehen ein bis zwei Flipper vernachlässigt herum. Die moderne Unterhaltungselektronik hat hier noch keinen Einzug gehalten. Imitierter Luxus Die neuen Spielhallen sind in vielerlei Hinsicht anders. Ihre sozialräumliche Lage ist nicht an die red– light–districts gebunden, ich habe sogar den Eindruck, daß sie diese Nachbarschaft nach Möglichkeit meidet. Ihr Interieur ist etwas aufgehellter als in den traditionellen Spielhallen, wenn es auch keineswegs hell ist wie in den Automatenspielbanken. Die räumliche Aufteilung ist großzügiger, es fehlen die Kabinen; Sichtblenden werden primär durch Pflanzen hergestellt, in manchen Hallen plätschert ein Springbrunnen. Die Anzahl der Unterhaltungsautomaten überwiegt schon alleine wegen der Regelung der neuen Spielverordnung die Anzahl der Geldspielautomaten. Die neuen Hallen wirken künstlich und ambitioniert, aber gerade deswegen auch sehr kleinbürgerlich. Die Imitation von Luxus bleibt als solche erkennbar. Gleichwohl ist die Atmosphäre insgesamt angenehmer als bei den traditionellen Spielhallen, sie vermittelt nicht mehr den Hauch von Verworfenheit. Der Versuch, ein anderes Publikum zu gewinnen, ist unverkennbar. Bei einem Abendrundgang waren die Unterhaltungsspiele vor allem dort, wo es viele gab, stärker frequentiert als die Geldspielautomaten, und zwar von jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren. Spielhallen sind für diese Altersgruppe das gleiche, was McDonalds für Kinder und Jugendliche ist: Treffpunkt und damit eine soziale Institution. Früher waren solche Treffpunkte die Milchbars und die frühen italienischen Eisdielen. Wer spielt? Es macht wenig Sinn, sich über bestimmte Einrichtungen aufzuregen, wenn man sich über ihre Funktion nicht im klaren ist. Hier ist die Funktion klar: Die Billard–, Flipper–und Videospielbereiche der Spielhallen sind Jugendlichentreffs und in dieser Funktion von durchaus großer Bedeutung. In der traditionellen Spielhalle verkehren zu sehr großen Teilen Ausländer, in den Mittagspausen allerdings auch Beschäftigte aus den umliegenden Büros. Sozialstrukturelle Einordnungen sind durch Ansicht natürlich nur sehr schwer vorzunehmen und ungenau. Die deutschen Spieler an Geldspielautomaten würde ich mit großen Vorbehalten als zur oberen Unterschicht / unteren Mittelschicht gehörig kennzeichnen - mit wenigen Ausnahmen übrigens auch bei der Automatenspielbank. Eins jedenfalls ist sicher: Es ist nicht das Publikum, auf das die Revitalisierungsbemühungen der Städte zielen ... Die krisenhafte Entwicklung des Einzelhandels, die Konzentrationsprozesse, die Kettenbildung, die Selektivität des Angebotes, Geschäftsaufgaben, all dies sind Prozesse, die nicht ursächlich auf Spielhallen zurückgeführt werden können. Mir scheint, daß die restriktive Politik gegenüber Spielhallen nicht auf diese selber, sondern auf deren Publikum zielt. Nicht die Spielhallen sind das Problem, sondern jene Benutzergruppen, die nicht zu den kaufkräftigen Konsumenten einer revitalisierten Innenstadt gehören: Ausländer, untere Mittelschicht und Jungendliche. Insgesamt also eine Strategie der Ausgrenzung unter problematischen Vorwänden. Ginge es um die Spielsucht und die moralische Argumentation, gäbe es einfache Lösungen: Geldspielautomaten nur in Kneipen zu genehmigen. Dort steht das Spielen unter sozialer Kontrolle, und die ist bei Kneipenbesuchern diesbezüglich ebenso scharf wie gegenüber übermäßigem Alkoholkonsum. Im Übrigen: Schutz der sozial gefährdeten Gruppen wie der Arbeitslosen mag als eine gute Sache erscheinen. Aber Schutz der Arbeitslosen vor Geldspielautomaten statt vor Arbeitslosigkeit? Und schließlich: Wer von uns kann wirklich beurteilen, was in einem von Erfolgserlebnissen verlassenen Leben eine Serie von 100 Sonderspielen bedeutet? Sicher ist es ein Problem, wenn Arbeitslosengeld und Sozialhilfe in den Spalten der Geldspielautomaten verschwinden; aber bevor wir uns darüber moralisch empören, sollten wir begreifen, was unsere Gesellschaft diesem Leben angetan hat.