Hysterie, dein Name bleibt Weib

■ Die Filmindustrie entdeckt die Frau, die zuviel liebt / Die Femme Fatale der Achtziger zerstört nicht die Männer, sondern sich selbst

Auftatmen. Im Sessel zurücklehnen. Es gibt sie also doch: attraktive und erfolgreiche Frauen, die voller Selbstbewußtsein und erotischer Ausstrahlung durchs Leben gehen und sich die Männer nehmen, die ihnen gefallen. Das einzige Problem dieser weiblichen Wesen ist, daß sie kaum länger als 100 Minuten lebensfähig sind. In dieser Zeit nämlich verwandeln sie sich vor den Augen der KinobesucherInnen zu Gefühlszombies, die durch ein irrationales Leben wanken und ihren Liebhabern im Beißkrampf an der Kehle hangen. Die Metamorphose ist vorprogrammiert. In einer Reihe von Filmen, die in letzter Zeit auf den Markt kamen, fällt die Karrierefrau ebenso wie die sinnliche Vagabundin der Ideologie des Schneidetischs zum Opfer: keine einzige unbändige Leinwandheldin kann mit ihrer Begierde, sobald sie entfesselt ist, leben. Doch auch die Objekte ihres Begehrens kommen nicht mit heiler Haut davon. Aus ist es mit den altvertrauten Liebeskisten a la er liebt sie, aber sie liebt ihn nicht. Oder: sie liebt ihn, aber er liebt eine andere. Das Beziehungsmuster der achtziger Jahre wird anders gewoben. Es lautet: Er liebt sie ein bißchen - aber sie liebt ihn ganz entschieden zu viel. Gleich mehrfach wurde die Botschaft während des vergangenen Jahres von der Leinwand herunter verkündet: Die Frau der achtziger Jahre muß vor sich selbst gerettet werden! Ihre Liebessucht bringt nicht nur sie, sondern vor allen Dingen auch ihre männliche Umwelt in Gefahr. Und wenn sie sich nicht retten lassen will, dann muß Mann sie eben opfern. Ob „Eine verhängnisvolle Affäre“, „Shes gotta have it“, „Eine Flamme in meinem Herzen“, „Blue Velvet“, „Something wild“ oder „Betty Blue“ - alle nehmen sie die Femme Fatale mit unterschiedlichen Strategien wieder an die Kandarre. Und die Alternative für den Ausbruch aus der weiblichen Sittsamkeit lautet schlicht und prosaisch: Bestrafung oder Reue. Die Männer - naja. Das sind zwar alles nette Typen, aber ein bißchen fade und langweilig sind sie schon, die Anti–Helden der achtziger Jahre. Einige führen als gut situierte Rechtsanwälte oder Geschäftsmänner mit Aussicht auf den Vizepräsidentensessel das Leben eines stromlinienförmigen Durchschnittsmannes: eine kreditkarten würdige Existenz im dezenten Nadelstreifenanzug, Frau, Kind, Hund und Stationwagon inklusive. Andere werden gepriesen als die netten, aber etwas temperamentlosen Jungs von nebenan mit akuratem Seitenscheitel, redlich verdientem Brot und treuem Augenaufschlag. Allen ist eigen, daß sie das Stereotyp vom Machomann zwar hinter sich gelassen haben, aber mit anderen Arten von persönlicher Sinngebung sichtlich Schwierigkeiten zu haben scheinen. Die KinobesucherInnen dürfen an kleinen Fluchten teilhaben: ob Charley in „Something Wild“ beim Versuch eines Rechnungsbetruges schwitzt oder Jeffrey in „Blue Velvet“ das Bedürfnis hat, in die Fußstapfen alter Meisterdetektive zu treten - wir verfolgen diese Eskapaden symphatisierend mit. Doch die kleinen Fluchten sind nur Geplänkel im Vergleich zum großen Ausbruch. Für den nämlich benötigen diese Herren dringend das weibliche Geschlecht. Denn ein unkompliziert gedachtes sinnliches Abenteuer verwandelt sich, eh sichs die Herren versehen, in ein Spiel auf Leben und Tod. Schuld daran ist selbstverständlich sie, das heißt die „Gefährliche Freundin“ eben. „Something Wild“, die „Flamme im Herzen“, oder „Eine verhängnisvolle Affäre“. Wild sind sie also, gefährlich, sie legen mit ihren Flammen das Männerherz in Schutt und Asche und üben verhängnisvolle Anziehung aus. Es läuft eben nur auf das eine hinaus: „Shes gotta have it“, besser: him, ihn, den Mann. Erst mit der fortschreitenden Zerstörungssucht der liebenden Frauen wird dem Mann klar, auf was er sich da eingelassen hat. Die Spielregeln des einmaligen Seitensprungs und die Rückkehrgarantie in einen geregelten Alltag sind plötzlich außer Kraft gesetzt. Während er sich noch wehrt, hat sie ihn schon längst gefangengenommen. Psychisch, physisch mit Handschellen, oder mittels Psychoterror - die Frau operiert mit allen Mitteln. Mit ihrem entsublimierten Triebleben bringen die Damen die wohlgeordnete Männerwelt an den Rand des Ruins. Keiner Rationalität folgend, blind ihren Liebesgelüsten hörig und bis zur Selbstverstümmelung schmerzsüchtig, entpuppen sie sich als emotionale Wracks, gewillt, auch das Opfer ihrer Begierde in ihr Leben hinein und damit ins Verderben zu ziehen. Mann hat wieder Angst vor dem eruptiven Gefühlsvulkan Weib, und zwar, so wird suggeriert, berechtigterweise. Wir eleben den filmischen Neuaufguß eines Krankheitsbildes, das bereits um 1900 Hochkonjunktur hatte: das Phänomen der Hysterie. Was die Fachliteratur damals in „epidemischen Ausmaßen“ konstatierte, wurde als typische Frauenmalaise gehandelt. Das hysterische Symptom zeigte sich in einer theatralischen und irreführenden Inszenierung der eigenen Persönlichkeit, die heute als Ausdruck weiblicher Unerfülltheit und des Eingesperrtseins in die häusliche Sphäre interpretiert wird. Was aber hat es zu bedeuten, wenn inzwischen der häusliche Frauensarg aufgebrochen scheint, Ausbildung, Selbstbewußtsein, Karriere dem weiblichen Geschlecht offenstehen - und trotzdem die Krankheit nicht behoben scheint? Im Gegenteil sogar, nun in einer für die Männer lebensbedrohlichen Art und Weise ausbricht? Dies, so wollen die neuen Lehrstücke suggerieren, kann ja nur heißen, daß wir es hier mit einer Geschlechtspathologie zu tun haben. Hysterie, dein Name ist Weib - und zwar unwiederbringlich. Kein Wunder, daß dem Mann der kalte Angstschweiß ausbricht. Die Frau ist der Vampir, der ihm die Energie raubt, die er für seine persönliche und berufliche Funktionsfähigkeit braucht, ein Faß ohne Boden in ihrem Verlangen nach Liebe und Intensität. Wenn Alain Tanner in „Eine Flamme aus meinem Herzen“ seine Protagonistin Mercedes sagen läßt: „Als einziges im Leben interessiert mich, herauszufinden, was das ist: die Begierde“, dann schlägt dies in die männliche Angstphantasie um, nie mehr befriedigen zu können. In den Filmgeschichten stoßen zwei Bedürfnisstrukturen aufeinander. Das männliche Equilibrium vermißt die Ausschläge des Pendels, fade Sicherheiten können die Abenteuerlust nicht gänzlich im Zaum halten. Die weibliche Emotionalität sucht sich scheinbar ziellos Objekte zur Erfüllung der unendlichen Sehnsüchte. Trotzdem aber prallten diese Strukturen aneinander ab. Pierre, der Journalist aus Tanners Film, sagt: „Am An fang war das Wort.“ Seine Geliebte Mercedes sagt: „Mein Körper ist mir heilig.“ Eine Kommunikation zwischen Rationalität und Körper entsteht und scheitert, denn der Einsatz von Mann und Frau ist ungleich. Im einen Fall der Rückzug aufs Wort, im anderen die schrankenlose Hingabe des Körpers. Die Folgen dieser Begierde sind für die Heldinnen fatal. Sie werden auf dem Altar der „gesunden Gesellschaft“ geopfert. Die verhängnisvolle Affäre Alex wird in einer Gemeinschaftsaktion vom Exgeliebten und dessen Ehefrau aus der Welt geshafft. Ähnliches wiederfährt Betty Blue, die nach ihren hysterischen Anfällen von Selbstverstümmelung von ihrem Liebhaber erstickt wird. Der Rest der Heldinnen steuert reumütig den Hafen biederer Zweisamkeit an. Wenn am Ende der Filme die Männer ihr Leben liebevoll wieder in die eigenen Hände nehmen und die wundenschlagenden Frauen in irgendeiner Weise außer Gefecht gesetzt sind, dann kehrt wieder Ruhe im Beziehungsleben ein. Normalität hat gesiegt. Da kann man nur noch tief durchatmen. Sabine Lang und Pamela Schlatterer