Untersuchungshaft - die praktische Form der Einkerkerung

■ Auf unbestimmte Zeit wirkungsvoll aus dem Verkehr gezogen

Untersuchungshaft - die praktische Form der Einkerkerung

Auf unbestimmte Zeit wirkungsvoll aus dem Verkehr gezogen

Die Untersuchungshaft ist in Deutschland, der für ihre unbedingte Freiheit der Meinungsäußerung bekannten und hochgepriesenen Nation, ein Kind der Justiz, das viele Gesichter hat. Diese Art der zivilisierten Einkerkerung eröffnet Möglichkeiten der Entfaltung, die das Herz eines jeden Bewahreres von Recht und Ordnung vor Freude höher schlagen läßt. Unterstützt die Gesetzgebung doch so hingebungsvoll die angestrengten Bemühungen der Ritter des schwarzen Stockes, allem und jedem irgendetwas anzuhängen. Besonders natürlich denjenigen, die geschmackloserweise das makellose Weiß der Republik mit schwarzem oder gar rotem Schmutz zu verunzuieren trachten. Da lacht doch die Hand, wenn sie, gedeckt durch die Verordnungen über die Handhabung der U-Haft, den Riegel vorschieben darf, ohne Gewähr für die Beweisbarkeit der Haftgründe, versteht sich. Ein kleiner Anklagepunkt, ja sogar eine dringende Verdächtigung sind ja auch vollauf zufriedenstellend für viele Haftrichter, die schließlich nicht unkollegial sein wollen. Und die sonst meist erfolgreich unterdrückte Phantasie mancher Diener des Staates bricht sich mit Vehemenz Bahn, geht es darum, die für die weitere Verhängung von Untersuchungshaft notwendige Fluchtgefahr zu dokumentieren. Der Verdächtige hat Familie? Das spielt doch keine Rolle, schließlich ist die zutiefst verantwortungslose Denkweise für solche Subjekte arttypisch. Der ist ohne weiteres in der Lage, in eigener Interessenwahrung seine Familie im Stich zu lassen und zu flüchten. Und schließlich und endlich ist ja alles streng im Rahmen des Gesetzes. Immerhin leben wir in einem Rechtsstaat.

Das tun wir tatsächlich. Doch muß man sich die Frage vorlegen, ob eine Untersuchungshaft, die bei manchen Inhaftierten bereits länger als ein Jahr währt, wirklich noch rechtens ist. Vom Standpunkt des Betroffenen aus, ist diese Art von Haft nämlich sogar noch zehrender als die Strafhaft selbst, da die voraussichtliche Dauer noch im tiefsten Dunkel zu liegen beliebt. Das tägliche Warten auf ein endlich aus der Unklarheit erlösendes Ereignis ist ein Prozeß, der unglaubliche Kräfte fordert, da es nämlich ein zutiefst hilfloses Gefühl hinterläßt. (...)

Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß ein solcher Zustand sehr wohl in der Lage ist, einen Menschen an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Ist dann endlich eine Strafe verhängt, ist der Geist wenigstens in der Lage, sich an ihr Ende zu klammern und es herbeizusehnen. Die Tips, die U-Häftlingen im Bau von Leidensgenossen, die das schon des öfteren mitmachten, zuteil werden, sind bezeichnend: hoffe nichts, erwarte nichts und vor allem denke nichts. Erinnere dich nicht an „Draußen“, mach dich nicht verrückt mit „Was wäre, wenn„-Gedanken; kurz: vergiß, daß du ein analytisches und mit Phantasie begabtes Gehirn im Kopf hast. Vergiß, daß du ein Mensch bist!

Die Vorteile, die der Staatsapparat durch die U-Haft in der Hand hat, sind nicht von derselben zu weisen: Unbequeme Zeitgenossen werden auf unbestimmte Zeit wirkungsvoll aus dem Verkehr gezogen. Ein Ableger der politischen Haft sprießt und gedeiht, ergrünt sozusagen wie seine Pfleger. Was ist einfacher, als den Abfallkübel eines Autonomen, der sich jedoch in seiner politischen Sphäre nichts hat zuschulden kommen lassen, immer und immer wieder zu durchwühlen, bis tatsächlich vielleicht einmal eine hochverdächtige Spritze oder ähnliches das Tageslicht erblickt? Den Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. Zwar muß der Haftbefehl halbjährlich erneuert werden. Doch das gehört zur polizeilichen Routine. (...)

Dabei ist die hoffnungslose Resignation nicht einmal das einzige Problem des U-Gefangenen. Denn meist wird dem Betroffenen der Haftbefehl in schönem roten Farbton, der sogar leicht ins Pink spielt, recht überraschend unter's Näschen gehalten, so daß ihm kaum Zeit bleibt, für den Verbleib seiner Wohnungseinrichtung zu sorgen.

Bald wird er auch von seinem Arbeitgeber, sofern er einen hatte, gefeuert. Dann wird die Wohnung gekündigt und zwangsgeräumt, seine Möbel vielleicht sogar versteigert, wenn er nicht schnell genug reagiert und beim Wohnungsamt einen Antrag auf Mietübernahme gestellt hat. Selbst wenn das der Fall sein sollte, meist sind verhaftete Menschen bei ihrer Ankunft im Knast leicht verstört und nicht sonderlich handlungsfähig, brauchen behördliche Mühlen Ewigkeiten, um zu reagieren - dann meist zu spät.

U-Gefangene haben kein ausdrückliches Recht auf entlohnte Arbeit im Knast, können ergo kein Geld verdienen. Werden sie nun freigesprochen, stehen sie ohne Wohnung, ohne Arbeit und ohne Geld leicht vereinsamt in der Landschaft. Denn von den meisten ihrer Bekannten sind sie mittlerweile vergessen worden. Alle Menschen um sie herum erwarten nun auch noch von ihnen, sie mögen sich in die Gesellschaft wieder eingliedern, reibungslos, weil die Ausgangsbasis ja so gut ist. Es ist erstaunlich, wie weit Zynismus doch gehen kann. Vanje, ein U-Häftling aus Karlsruhe